»Die Lust, mich zu quälen ...
Kathrin Gerlof über den anhaltenden Widerstand gegen die Ehe für alle und die unendliche Duldsamkeit der SPD
… ist wieder da.« Es ist komisch, aber dieser Satz stammt nicht von Martin Schulz. Stattdessen von Fabian Hambüchen, der am Reck ein Meister und Olympiasieger ist. Liegt vielleicht daran, dass die SPD die Lust, sich zu quälen, ja de facto nie verloren hat. Jedenfalls nicht in den vergangenen vier Jahren. Nur mal so als Beispiel: 83 Prozent der Bundesbürger*innen (hier müssen alle rein, deshalb Sternchen) befürworten die »Ehe für alle«. Die teure Tote tut dies auch. Also grundsätzlich tut sie dies. Die CDU und die CSU will den Schweinskram natürlich nicht. Was wäre das für eine Ehe, wenn man nicht andauernd in Missionarsstellung Kinder zeugen kann, stattdessen auf so Sachen wie Adoption oder Samenspende angewiesen ist?
Man könnte jetzt sagen: Wenn die CDU/CSU sogar mit der SPD große Koalition machen darf - und das ewig und ewig -, was einer dauerhaft, langweiligen Missionarsstellung gleichkommt, in der immer die Gleiche unten liegen muss, dürfte es doch mit der Ehe für alle anderen gar nicht so schwer sein. Ist es aber.
28 Mal ist der Tagesordnungspunkt »Ehe für alle« in den vergangenen dreieinhalb Jahren im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages vertagt worden. »Immer, wenn Union und SPD sich nicht einig sind bei einer Sache, dann wird es vertagt in den Ausschuss. Der tagt nicht öffentlich, und dann stellt man dort wieder einen Antrag auf Beratungsbedarf oder Vertagung. So entzieht man sich einer politischen Positionierung und der Chance, darüber abstimmen zu können als Abgeordnete«, erklärt uns die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag, Britta Haßelmann, die Sachlage. Der familienpolitische Sprecher der Unionsfraktionen, Markus Weinberg, hingegen findet alles viel komplizierter: »Das Thema Ehe ist für viele in der Union noch ein sensibles Thema, weil damit verbunden wird nicht nur die Partnerschaft von zwei Personen zueinander, sondern auch das, was damit mal gemeint war, verfassungsrechtlich - nämlich die Frage, eine Familie zu gründen.« Im Umkehrschluss heißt das: Zwei miteinander verheiratete Schwule und ein adoptiertes Kind sind in den Augen des Mannes eben keine Familie. Sondern? Das sagt er uns nicht. Vielleicht findet er so eine Konstellation einfach eklig, vielleicht nur ein bisschen komisch, vielleicht macht er sich Sorgen um unsere aussterbende deutsche Spezies, möglicherweise denkt er gar nicht nach.
»Wir lassen uns da auch nicht treiben, darüber noch weiter zu diskutieren. Auch wenn es einige nervt. Das finde ich, ist schon auch das Ansinnen einer Volkspartei, den breiten Meinungsprozess zu entwickeln.« Markus Weinberg hat das mit den 83 Prozent vielleicht nicht richtig durchgerechnet oder verstanden. Der Mann ist auch erst 49, hat also noch ein wenig Zeit, klüger zu werden. Man sollte ihn trotzdem mal auffordern: »Definieren Sie breiten Meinungsprozess!« Vielleicht kommt er dann von selber drauf.
Jetzt aber noch mal zurück zur teuren Toten. Die Anträge auf Vertagung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages kamen von ihr. War so abgesprochen und bestimmt eine Art Treuetest. Schaffen es die Sozialdemokraten, deren Justizminister erst vor Kurzem erklärt hat, für ihn sei die Einführung der »Ehe für alle« eine Grundvoraussetzung dafür, nach der Bundestagswahl erneut Koalitionsgespräche mit der CDU/CSU zu führen (das ist jetzt wirklich dramatisch, weil man sich an dieser Stelle natürlich wünscht, es möge gar nicht erst zu diesen Koalitionsgesprächen für weitere tödliche vier Jahre kommen) - schaffen es also die Sozialdemokraten, im Ausschuss immer wieder Vertagung zu beantragen, um eine Debatte im Plenum zu verhindern? Ja, sie haben es geschafft und insofern muss man ihnen bescheinigen, dass sie für Vasallentreue einiges zu tun bereit sind. Günstige Voraussetzungen für Koalitionsverhandlungen. Mit wem auch immer.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.