»Es muss nicht immer Kampf sein«
Rot-Rot-Grün und der Linksparteitag: Vom strikten Nein zu »illusorischen Träumereien« bis zum Bekenntnis, regieren zu wollen
Eine Überraschung wird man das nicht nennen können: Auf dem Linksparteitag am Wochenende wird auch die umstritten Frage der Regierungsbeteiligungen wieder eine Rolle spielen. Die Debatte findet allerdings in einem etwas veränderten Umfeld statt, weil die SPD zumindest zu Jahresbeginn ihre Abgrenzungsrhetorik zur Linkspartei ein wenig reduziert hatte – und umgekehrt. Geführt wird die Diskussion nun aber vor allem mit Blick voraus – mit welcher Position tritt die Linkspartei bei den Herbstwahlen an und unter welchen Bedingungen wäre sie überhaupt bereit, eine Koalition mit der SPD und den Grünen einzugehen?
Neustart? Ausstieg? Republik?
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Kritiker der rot-rot-grünen Option aus Partei und ihrem Umfeld haben sich jetzt ausdrücklich gegen ihrer Auffassung nach »völlig illusorische Träumereien von einer rot-rot-grünen Koalition im Bund« ausgesprochen. »Dazu reicht es inhaltlich ebensowenig wie zahlenmäßig«, heißt es in einem Offenen Brief an die Delegierten des Parteitags. So sehr ein Politikwechsel in der Bundesrepublik und Europa nötig sei, so wenig sei dieser »mit SPD und Grünen in ihrer derzeitigen Verfasstheit« möglich.
Die Unterzeichner, die sich im linken Spektrum der Partei verorten, führen unter anderem Differenzen in den außen- und sozialpolitischen Vorstellungen an. »Wer den Wahlkampf der Linken 2017 auf eine rot-rot-grüne Bundesregierung ausrichtet, gibt das Heft des Handelns aus der Hand«, so die Argumentation. Daher solle sich die Linkspartei »wieder deutlich dazu« bekennen, »dass unter den gegebenen Bedingungen Veränderung mit Opposition beginnt«.
Im Entwurf des Wahlprogramms wird die Frage von Regierungsbeteiligungen eigentlich nur am Rande erwähnt. In der Einleitung heißt es zwar, die Linken wollten »um jede Verbesserung im Alltag« kämpfen. Man wisse aber »auch, es braucht mehr als oberflächliche Korrekturen. Es ist an der Zeit, den Schalter umzulegen.« Gemeint ist: Die Linkspartei beginnt ihr Wahlprogramm für die kommende Legislaturperiode mit der Formulierung eines darüber hinausgehendes Zieles: Sie will »Alternativen zum Kapitalismus. Wir wollen einen neuen Sozialismus«. Der dürfte weniger eine Frage von Koalitionsoptionen sein.
Um diese geht es am Schluss des Entwurfs, auch dort allerdings nur kurz. Niedergeschrieben sind dort negative Mindestbedingungen für eine Beteiligung an Regierungen, also Gründe, die einen Eintritt in Koalitionen ausschließen sollen. Im Sprachgebrauch der Linkspartei: rote Haltelinien.
Rote Haltelinien und das Grundsatzprogramm
»An einer Regierung, die Kriege führt und Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zulässt, die Aufrüstung und Militarisierung vorantreibt, die Privatisierungen der Daseinsvorsorge oder Sozialabbau betreibt, deren Politik die Aufgabenerfüllung des Öffentlichen Dienstes verschlechtert, werden wir uns nicht beteiligen.« Hinzu kommt der Hinweis, dass eine andere Politik »nicht allein im Parlament erreicht werden« könne, sondern den Druck »aus der Gesellschaft, aus Gewerkschaften und sozialen Bewegungen, aus Sozialverbänden« brauche.
Dieser Passage sind auch eine Reihe von Änderungsanträgen gewidmet. Die Strömung Antikapitalistische Linke etwa verlangt, dass der Begriff »Kampfeinsätze« durch »Auslandseinsätze der Bundeswehr« ersetzt wird – was dann mehr Mandate zu den Ausschlusskriterien addieren würde. Man wolle »keine Einzelfallprüfung oder Differenzierung in Auslands- und Kampfeinsätze«. Ähnlich hat sich die Kommunistische Plattform eingelassen, sie kritisiert, dass die Grenzen zwischen friedenserhaltenden und friedenschaffenden Einsätzen zusehends verschwimmen.
Faktisch geht es hier auch um die Frage, ob die im Grundsatzprogramm enthaltene Festlegung, die eine Beteiligung an einer Regierung ausschließt, die »Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zulässt«, aufrechterhalten wird. Die Kommunistische Plattform plädiert dafür, über den Beschluss von 2011 hinauszugehen – Begründung: der Begriff sei unpräzise und »war seinerzeit schon umstritten«. Das war anderes auch, bisher wurde damit eine Modifizierung des Programmkonsenses nur selten begründet.
Regieren, wenn ein »klarer Politikwechsel« möglich ist
Eine andere Position zum Thema Mitregieren nehmen die Landesverbände Sachsen und Thüringen ein, die beantragt haben, nach den Negativkriterien noch positive Bedingungen für eine etwaige Beteiligung einzufügen. »Wir wollen regieren«, heißt es in ihrem Formulierungsvorschlag – und zwar »für einen klaren Politikwechsel, bei dem sich Erwerbslose, ArbeiterInnen und Angestellte, NormalverdienerInnen, kleine Selbstständige und Mittelständler gut vertreten fühlen und die Ungleichheit verringert wird, und an konkreten Schritten hin zu einer sozialen, ökologischen und demokratischen Gesellschaft«.
So oder so – der Kreisverband Darmstadt-Dieburg hat sich dafür ausgesprochen, in jeden Fall »über die Beteiligung an Koalitionen und die Tolerierung von Minderheitsregierungen einen Mitgliederentscheid« durchzuführen. Koalitionen würden »oft weitgehende Kompromisse« voraussetzen, dies könne dazu führen, dass »Abstriche von Forderungen in Kauf genommen werden, die für die Partei wesentlich sind«. Durch einen Mitgliederentscheid solle nicht zuletzt einer »Verfremdung zwischen Basis und Parteispitze« vorbeugen.
Noch weiter geht ein Sammelantrag aus Baden-Württemberg, der außerhalb der Debatte um das Wahlprogramm gestellt wurde. Darin werden SPD und Grüne generell zu den »neoliberalen Parteien« gerechnet, die eine Politik verfolgen würden, die den Positionen der Linkspartei entgegenstehe – und »die sie auch nicht aufgeben können«. Daher verlangen die Einreicher, »von allen Planungen und Aktivitäten Abstand zu nehmen«, die auf eine Regierungsbeteiligung abzielen. Alle anderen Parteien müssten stattdessen »als korrupt und als Teil des Problems« entlarvt sowie ihr »destruktives Wesen« sichtbar gemacht werden. Andernfalls drohe ein »Massenaustritt«, heißt es weiter.
»Derzeit kein direkter Weg eines Sozialdemokraten ins Kanzleramt«
Es gibt natürlich auch viele anderslautende Positionierungen, und diese finden sich nicht nur zu den Passagen, in denen direkt von Koalitionsoptionen die Rede ist. So beantragt das Forum demokratischer Sozialismus, den Titel des Wahlprogramms zu modifizieren, der mit der Formulierung »Die Zukunft, für die wir kämpfen« beginnt. »Wir sind für soziale Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft, ganz egal, auf welchem Wege dies erreicht werden kann«, heißt es dazu bei den Linksreformern. »Das muss nicht immer Kampf sein.«
Zuletzt hatte sich auch der saarländische Fraktionsvorsitzende und ehemalige SPD-Politiker Oskar Lafontaine zur Regierungsfrage zu Wort gemeldet - unter Verweis auf ein Thesenpapier der Grünenpolitikerin Antje Vollmer und dem Sozialdemokraten Peter Brandt. Die beiden hatten im »Tagesspiegel« zuvor »die ewige Gefangenschaft von neoliberalen und neokonservativen Politikkonzepten« bei führenden Politiker von SPD und Grünen beklagt und waren zu der Einschätzung gelangt, es führe »derzeit kein direkter Weg eines Sozialdemokraten ins Kanzleramt - und kein Weg der politischen Linken zurück zu gesellschaftlichen Mehrheiten«. Vollmer und Brandt sprechen von »selbst verschuldeter Unmündigkeit« großer »Teile der sozialdemokratischen und grünen Führungsschichten«.
Hier setzt Lafontaine an: Dies sei »das Hauptproblem einer Zusammenarbeit« der Linkspartei mit SPD und Grünen. Er kritisierte zudem eine »die eigentlichen Konflikte« verschleiernde »Diskussion um Rot-Rot-Grün« und erklärte, die Linkspartei dürfe »nicht auch noch dem neoliberalen Mainstream hinterherlaufen«.
… was wir fordern, auch durchsetzen
In der Kommunikationsstrategie des Bundeswahlkampfleiters Matthias Höhn wird einerseits die Eigenständigkeit des Agierens der Linkspartei betont, andererseits aber auch darauf verwiesen, dass große Teile ihrer Wählerschaft der Meinung seien, »dass die Linke der nächsten Bundesregierung angehören soll«. In dem Papier, das die »strategischen Ansätze« der Partei »verdichten« soll, heißt es dazu: »Abstrakte parteipolitische Farbenspiele betreiben wir nicht, weil die Menschen spüren, dass es dabei kaum um konkrete Inhalte, um ihre konkreten Sorgen und Probleme geht.« Man werbe daher »für uns und den Politikwechsel«, wolle eigene Themen in den Mittelpunkt stellen – und das unter dem Motto »Inhalte vor Konstellationen«.
Man sage aber ebenso »klar und deutlich: Wir wollen das, was wir fordern, auch durchsetzen«. Voraussetzung: Wenn ein »grundlegender Politikwechsel« möglich ist. Hier dürfte der Knackpunkt liegen, bei der Frage, ab wann man von einem grundlegenden Politikwechsel sprechen kann. Oder von einem »klaren Politikwechsel«. Die Antikapitalistische Linke hat deshalb eine »Resolution zum Wahlprogramm« eingebracht, die »unabhängig vom Programm, aber als Paket beschlossen und als verbindliche Richtlinie im Wahlkampf verwendet werden« solle. In ihr ist aufgelistet, was die Strömung unter »Politikwechsel« versteht.
Einigkeit dürfte immerhin über eines herrschen: »Mit Schwarz-Gelb, mit einer Großen Koalition, einer Ampel-Koalition, einer Jamaika-Koalition« werde man einen Politikwechsel, so Höhn, »vergessen« können.
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