Niedrigzinspolitik trifft auf Sparweltmeister
Die Geldpolitik kostet die Bürger viele Milliarden Euro - etliche Anleger profitieren aber auch davon
Zins und Zinseszins wurden durch die Teilprivatisierung der Rente für viele zu einer Existenzfrage. Die Bundesbürger schienen gut aufgestellt, gelten sie doch als Sparweltmeister: Seit Jahrzehnten legen sie von 100 verdienten Euro durchschnittlich über zehn Euro auf die hohe Kante. In kaum einem anderen Land verlassen sich die Bankkunden so sehr auf Sparbücher, Tagesgeldkonten und Lebensversicherungen. Doch mittlerweile müssen Millionen feststellen, dass nur Sparen keine so gute Idee war.
Schuld ist die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Betrug der Leitzins 2008 noch mehr als vier Prozent, ging es seitdem rasant bergab. Seit dem 16. März 2016 liegt der EZB-Leitzins sogar bei null Prozent. Mittlerweile sind die Minizinsen bei den Sparern angekommen: Banken und Sparkassen zahlen auf klassische Sparprodukte kaum oder gar keine Zinsen mehr. Einige verlangen sogar Strafzinsen von ihren Kunden. Sparen lohnt sich also nur noch in Produkten, die wie die »Riester-Rente« staatlich bezuschusst werden.
Ganz schuldlos sind die Sparer nicht: Sie legen ihr Geld falsch an, beklagen Verbraucherschützer seit langem. So besitzt laut Bundesbank die Hälfte der Deutschen ein Sparbuch und zahlt regelmäßig Geld darauf ein - trotz der mickrigen Zinsen. Vier von zehn lassen ihr Geld sogar auf einem Girokonto liegen, das gar keine Zinsen abwirft. Jeder Dritte nutzt ein Tagesgeldkonto. Auch diese beliebte Anlageform bringt kaum Zinsen.
Dagegen profitiert die Mehrheit nicht vom jahrelangen Boom an den Aktienmärkten. Die Zahl der Aktionäre und Besitzer von Aktienfonds liegt laut Deutschem Aktieninstitut bei knapp neun Millionen - das ist nur jeder siebte Bürger. Sechs von sieben schauen also in die Röhre, wenn es um die Rendite ihres Ersparten geht.
Unterm Strich kostet die Kombination aus niedrigen Leitzinssätzen und der traditionellen Risikoscheu die privaten Anleger einen dreistelligen Milliardenbetrag. Den diesbezüglich höchsten Wert ermittelte kürzlich in einer Studie die DZ Bank: Seit 2010 ergeben sich für die Privathaushalte danach Zinseinbußen von 344 Milliarden Euro. In diesem Jahr dürften 92 Milliarden hinzukommen. Allerdings stecken in solchen Kalkulationen viele strittige Annahmen, etwa über die Höhe des »Normalzinses«.
Anderseits gibt es Gewinner der Niedrigzinspolitik. Etwa Aktionäre. Die Flut an billigem Geld durch die Zentralbanken hat die Börsen weltweit auf Rekordkurs getrieben. Die niedrigen Zinssätze für klassische Spareinlagen beflügelten die Kurse zusätzlich, weil sie Aktien attraktiver machten als in »normalen« Zeiten.
Das Börsengeschehen demons- triert, dass im Sparthema die soziale Frage schlummert. Denn die lukrativen Aktien sind hauptsächlich in »besseren Kreisen« eine bevorzugte Geldanlage. Schon die vergleichsweise hohen Kosten für den Kauf weniger Wertpapiere machen diesen für Kleinsparer kaum reizvoll.
Immerhin bleibt ein Großteil der finanziellen Rücklagen von Niedrigzinsen unberührt oder wird durch gegenläufige Entwicklungen wettgemacht. So unterscheidet eine solide private Finanzplanung fünf Stufen: Bargeld für den Notfall, Rücklagen für Anschaffungen wie eine Waschmaschine, Wohnen, private Altersvorsorge und freie Vermögensbildung. Nur in letzterer Stufe sind Sparzinsen ein großes Thema.
Und damit längst nicht für jeden. Die Hälfte der Haushalte verfügt über ein Nettovermögen von weniger als 32 000 Euro, ab dem erst Zins und Zinseszins von Bedeutung wären. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), die am Dienstag veröffentlicht wurde. Der Anteil der »besitzlosen Haushalte« beträgt inzwischen rund 20 Prozent, der Anteil der verschuldeten Haushalte hat sich in den letzten Jahren auf über elf Prozent beinahe verdoppelt.
Für ein Drittel der Gesellschaft haben Leitzinsen daher überhaupt keine unmittelbare Auswirkung. Mittelbare aber schon: Denn durch die Niedrigzinsen spart »unser« Staat Jahr für Jahr einen zweistelligen Milliardenbetrag an Zinsen, die er für die Schulden von Bund, Ländern, Gemeinden und Sonderhaushalten von über zwei Billionen Euro zahlen müsste. Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik beziffert in ihrem »Memorandum 2017« die Ersparnis auf etwa die Summe, die den Sparern laut DZ Bank verlustig geht. Besonders profitieren »Besserverdiener«: Die historisch niedrigen Zinssätze machen das Leasing des neuen SUV oder die Baufinanzierung des Eigenheims so billig wie noch nie.
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