Britischer Wirtschaft droht Flaute
Bereits vor dem Brexit-Votum kam die Ökonomie nicht mehr richtig in Fahrt
Theresa May lächelte bislang die Probleme einfach weg. Doch nach der Wahl wird es ernst: Der britischen Wirtschaft droht eine Flaute. Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon will den wohlhabenden, ölreichen Landesteil bis 2025 in die Unabhängigkeit führen. Für weitere Ungewissheit - und diese mögen Manager gar nicht - sorgt der anstehende Brexit. Vor allem im Londoner Finanzdistrikt sind Auflösungserscheinungen unübersehbar. Dabei benötigt Britanniens Volkswirtschaft wie kaum eine zweite den Rückenwind von Investmentbanken, Fonds und Wertpapierhändlern. Diese fordern aber einen barrierefreien Zugang zur Eurozone. Goldman Sachs, UBS und andere Großbanken planen, notfalls Abertausende Jobs aus London auf den Kontinent zu verlagern.
Die ehemalige Kolonialmacht ist trotz des Niedergangs der heimischen Industrie die fünftgrößte Volkswirtschaft der Erde. Andererseits erreicht das Bruttoinlandsprodukt (BIP) mit umgerechnet 2,5 Billionen Euro gerade mal einen Anteil am Welt-BIP von rund zwei Prozent. Ökonomisch ist die frühere Seemacht heute keine Weltmacht mehr.
Auch für die EU ist das Vereinigte Königreich mit seinen 65 Millionen Einwohnern kein »Big Player« mehr. Waren im Wert von etwa 300 Milliarden Euro werden Unternehmen vom Kontinent in diesem Jahr auf die Insel ausführen. Immerhin. Doch das entspricht gerade mal einem Anteil von sieben Prozent an allen EU-Exporten - was der Bedeutung der kleinen Schweiz entspricht.
Der Niedergang begann mit dem Wirtschaftsliberalismus der berühmten Vorgängerin von Frau May. Premierministerin Margaret Thatcher begann 1979 den Umbau: Die frühere Industriemacht setzte fortan auf private Dienstleistungen und vor allem auf Finanzgeschäfte. Das ging lange gut - auch dank einer Notenbank, die das Pfund nach Bedarf auf- oder abwertet und dank einer antizyklischen Finanzpolitik, die sich um enge Euro-Kriterien nicht scheren muss. Zeitweilig erreichte die Neuverschuldung fast zweistellige Raten.
Doch mit dem Finanzcrash 2007/2008 zeigte die Finanzmarktorientierung ihre Schattenseite: Traditionsreiche Industrien liegen am Boden. So war Großbritannien früher weltweit die Nummer zwei unter den Auto-Nationen - heute gehören die Reste berühmter Marken wie etwa Land-Rover dem indischen Tata-Konzern. Weit bedeutender: Überall fehlt es an Fachkräften. Handwerksinnungen und eine duale Berufsausbildung wie in Deutschland gibt es nicht.
Die »postliberale« May und ihr Herausforderer Jeremy Corbyn wollen die entfesselten Märkte wieder einhegen. Schon vor dem Brexit-Votum war es nämlich bergab gegangen. 2014 hatte das Wirtschaftswachstum 2,9 Prozent betragen - für 2018 erwarten Bankanalysten nur noch 0,8 Prozent. Damit wäre man in der EU wohl Schlusslicht. Mancher spricht schon von »Stagflation«: Stagnation trotz Inflation.
Als Hauptgrund für den Wachstumseinbruch nennen Konjunkturforscher den Verlust an Kaufkraft, den private Haushalte durch die höhere Inflation erleiden. Gleichzeitig halten sich Unternehmen bei Investitionen zurück. »In diesem und im kommenden Jahr werden die Briten erkennen müssen, dass der Brexit ihrer Wirtschaft schadet, und zwar über einen langen Zeitraum«, warnt Andrew Watt vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK).
Hoffnungen, Verluste beim wichtigsten Handelspartner, der EU, durch eine stärkere Hinwendung nach Amerika auszugleichen, dürften sich als illusorisch erweisen. So bleibt das Außenhandelsdefizit gewaltig, das Leistungsbilanzdefizit liegt bei über vier Prozent. Großbritannien führt weit mehr Waren ein, als es ausführt. Das Loch im Staatshaushalt wird es der künftigen Regierung in London schwer machen, die wirtschaftliche Flaute zu beenden.
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