Enthusiastisch nach Russland
Die Neulinge in der DFB-Elf nutzen beim 1:1 in Dänemark ihre Chance - und wollen nun beim Confed Cup überzeugen
Kaffeetrinken am mittelalterlichen Hafen Nyhavn, Stippvisite der der königlichen Leibwache vor Schloss Rosenborg oder Shoppen auf der beliebten Flaniermeile Strøget: All das kann jeder Kopenhagen-Tourist. Eine kleine Abordnung der deutschen Nationalmannschaft hat sich am Mittwochmorgen etwas Besonderes einfallen lassen: Als Teammanager Oliver Bierhoff mit den Spielern Joshua Kimmich, Kevin Trapp und Sandro Wagner der Sankt Petri Schule im Stadtzentrum die Aufwartung machte, herrschte Ausnahmezustand in der ältesten deutschen Auslandsschule der Welt. Seit fast 450 Jahren werden hier Kinder zweisprachig unterrichtet, aber noch nie kamen Fußballnationalspieler zu Besuch in die Larslejsstraede unweit vom Tivoli.
Schon hinter dem Absperrband kreischten die Pennäler. Und als die DFB-Delegation stilgemäß durch ein an die Wand getünchtes Fußballtor in die winzige Turnhalle kam, stieg der Lärmpegel noch einmal. Viele hatten sich die Wangen schwarz-rot-golden geschminkt, um an drei Hauptdarsteller vom Länderspiel Dänemark gegen Deutschland (1:1) ihre Fragen loszuwerden. Und so erzählte Torschütze Joshua Kimmich, dass Bundestrainer Joachim Löw »grundsätzlich ein netter Mensch« sei - und dass er fast einen Krampf bekommen habe, nachdem er mit einem famosen Fallrückzieher im zugigen Brøndby Stadion den späten Ausgleich erzielt hatte. »Wir hatten ja zwei Wochen lang kein Spiel mehr«, erklärte der einzige Abgesandte des FC Bayern.
Torwart Trapp gab zu, dass er noch so voller Adrenalin gewesen sei, »dass ich die Nacht nicht viel geschlafen habe«. Dass der mit Verzögerung endlich in der Nationalelf debütierende Keeper von Paris St. Germain eine »Bombenpartie« gemacht habe, befand Bierhoff. Torjäger Sandro Wagner berichtete derweil von der bevorstehenden Einschulung seiner Tochter und gab dem deutsch-dänischen Auditorium für den weiteren Lebensweg mit, »immer an sich selbst zu glauben und sich nicht den Traum wegnehmen zu lassen.«
Der Spätberufene von der TSG Hoffenheim hatte tags zuvor sein Premierentextil wie ein Goldstück hinausgetragen. »Darauf habe ich 29 Jahre gewartet«, scherzte der Schlaks. Der auch außerhalb des Platzes etwas unkonventionelle Mittelstürmer ist der älteste Profi eines Perspektivkaders, der in der kommenden Woche von Frankfurt am Main nach Sotschi zum Confed Cup reist. Zuvor aber steht noch das WM-Qualifikationsspiel gegen San Marino an, für das die Vorbereitung aber nicht hochgefahren werden muss. Bierhoff empfahl am freien Nachmittag, das lässige Flair der dänischen Kapitale einzusaugen, bevor am Donnerstagmorgen der Weiterflug nach Nürnberg geht, wo am Sonnabend die ungleiche Begegnung in der Gruppe C gegen den Fußballzwerg aus der italienischen Enklave steigt.
Angeführt wird die Mannschaft dann wieder vom einst in der Bundesliga so unsteten Julian Draxler, den das Tragen der Kapitänsbinde in seinem 29. Länderspiel zu einer engagierten Vorstellung als Ballverteiler animiert hatte. Der 23-jährige Wahl-Franzose von Paris St. Germain muss nun mindestens drei Wochen lang die vorbildhafte Führungskraft mimen. »Grundsätzlich sollen er und Shkodran Mustafi diese Rolle übernehmen«, sagte Löw. Der 57-Jährige hatte bei einer aus seiner Sicht guten Standortbestimmung »mehr Plus als Minus« sehen. Nach nur einer Trainingseinheit bot das deutsche Team nach ungefähr halbstündiger Findungsphase tatsächlich deutlich mehr als erwartet. De Bundestrainer sieht eine »gute Basis, um in den nächsten Wochen zu arbeiten«.
Der Debütantenball mit am Ende einem halben Dutzend Novizen hat die sportliche Leitung ein Stück zuversichtlicher gemacht, dass der Confed Cup - zu dem der Weltmeisterverband nach der Absage von Leroy Sané nur 22 Spieler nominiert - nicht in eine handfeste Blamage ausartet. Bierhoff fand den Auftritt »überraschend gut«. Wächst also das zusammengewürfelte Aufgebot sogar schneller zusammen als gedacht? »Da sind ja hochtalentierte Jungs dabei, die brauchen dann nicht so viel Anlaufzeit«, sagte Leon Goretzka, der sich mit 22 Jahren und vier Länderspielen offenbar auch schon eine Stufe weiter sieht.
Tatsächlich könnte die Nationalelf in diesem Monat vom Enthusiasmus der neuen Gesichter profitieren. Für die Garde Lars Stindl, Amin Younes, Kerem Demirbay oder Marvin Plattenhardt, allesamt am Dienstagabend im skandinavischen Schmuddelwetter im Einsatz, ist die Acht-Nationen-Messe in Russland eben keine lästige Saisonverlängerung, sondern vielleicht sogar ein Höhepunkt. Wie für die Kinder der Sankt Petri Schule die erfreulich ungeschminkte Stippvisite mit Kimmich, Trapp und Wagner. Mesut Özil, Manuel Neuer und Mario Gomez wären sicherlich prominenter, aber womöglich auch etwas zu routiniert gewesen.
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