Volksarmee forever
Im Kino: »Die vergessene Armee« von Signe Astrup
Gleichschrittnostalgiker. DDR-Apologeten. Ehrverteidiger. Bürgerwehrmentalität und Rollenspielvergnügen. Unterlegenheitsgefühle, Trauer um die verlorene Jugend und unhinterfragte Ostalgie. Es ist alles vorhanden in Signe Astrups Dokumentarfilm über die Nationale Volksarmee, bald drei Jahrzehnte nach ihrer Auflösung. Oder eher: über ehemalige Volksarmisten und andere DDR-Funktionsträger, die sich zu ihrem gewesenen Staat, ihrer früheren Armee, ihren Uniformen und Insignien, Zeremonien und Helden positionieren.
Astrup, Kopenhagenerin mit Wahlheimat Berlin, wurde auf die Frage, was aus den NVA-lern wurde, als man ihre Armee redundant machte, durch einen Zeitungsbericht aufmerksam. Ein Eklat wurde da notiert, erklärt sie im Regiekommentar zu Beginn (danach übernehmen die Zeitzeugen und eine geschickte Montage die Regie), weil zum rein rechnerisch 55. Gründungstag einer längst aufgelösten Armee versprengte Angehörige anlässlich einer Gedenkveranstaltung in voller Montur durch den Tierpark Friedrichsfelde spazierten. Astrup machte sich auf Spurensuche. »Die verlorene Armee« ist das Ergebnis.
Es kommen Menschen zu Wort, für die die NVA-Karriere das kleinere Übel war. Und Überzeugungstäter, die es noch heute nicht ganz lassen können: Eine Ärztin aus Thüringen, die die DDR als den »besten Staat, den es je gab« verteidigt, weil sie woanders nie hätte Ärztin werden können. Und überhaupt: Die DDR, das war ihr Land, die darf doch jetzt nicht einfach so vergessen werden. Ein ehemaliger Grenzer und Polizist sieht heute noch auf öffentlichen Plätzen »nach dem Rechten« und nervt Streifenpolizisten mit seinem Bürgerwehrverhalten. Ein Trupp vom »Traditionsverband NVA« marschiert vor dem Treptower Ehrenmal in Berlin auf und sorgt für merkwürdigen Applaus, der den Uniformen gelten mag oder der Inszenierung selbst – eine Laientheatertruppe, die für Atmosphäre sorgt? Das war im Mai 2013, und der Auftritt hatte später noch juristische Folgen.
Seine Stasiakte, so erzählt die Filmemacherin, habe sich keiner der Interviewpartner aus eigener Initiative besorgt; für einen von ihnen holt sie das nun nach. Den Abriss des Palasts der Republik nennt einer eine Bürgerverletzung – aber Geschichte werde eben von den Siegern gemacht. Und das war nach Ansicht dieses Zeitzeugen denn wohl – die Bundesrepublik. Ein Dritter ist Textilkünstler, er näht Waffen aus Stoff. Voll flexibel, aber von Weitem täuschend echt. Vor den dezent politsatirischen Stickbildern des Künstlers stehen dann der ehemalige NVA-ler mit militärischem Haarschnitt und angedeuteter Uniform und die westdeutschen Prosecco-Trinker nebeneinander. Und der NVA-ler doziert über Fragen der Ehre – und ihre Verteidigung, die am Ende dann ja unterblieben sei. Nun ja.
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Nun muss niemand es mögen, wenn ihm jede bisherige Gewissheit ausgeredet und aus Weiß von einem Moment zum anderen Schwarz wird, wenn nichts mehr so ist, wie man es mal gelernt hatte. Und wer unter der Flagge diente, bekam ohnehin eine doppelte Dosis ab vom Volksverteidigungswahn. Das gehört dann wohl zur Natur der Sache. Aber die Picknicks in obsoleter Uniform, die Traditionsverbände NVA, die trotzige Verschworenheit, das hilflos-nostalgische Bedürfnis, jedenfalls für Stunden noch mal zu denen zu gehören, die eifrig die Hacken zusammenschlagen und sich sagen lassen, wo es langgeht, die sind schon eher furchterregend. Einer immerhin hat heute noch ein Problem damit, dass diese Armee damals eigentlich nur auf eine Gruppe Menschen schoss: auf Republikflüchtige.
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