Eine Verliererin, keine Sieger
Großbritannien hat entschieden. Theresa Mays Desaster reicht aber nicht für Labour. Deren Chef Corbyn ist dennoch gestärkt. Erste Anmerkungen zur Wahl
Es gibt politische Schachzüge, die gehen nicht ganz so aus, wie man sich das vorgestellt hat. Und es gibt Ränke, bei denen stehen die Protagonisten am Ende als absolute Verlierer da. So wie Theresa May, die erst keine Neuwahlen wollte, dann doch welche anstrengte - um sich ein Mandat für ihren »harten Brexit« zu holen. Was ein Versuch sein sollte, die nicht nur in Umfragen schwach aussehende Labour auch noch im Parlament zu schrumpfen, erweist sich für die Tories nun als umfassendes Desaster. Und: Es ist noch gar nicht klar, was die Folgen dieser Niederlage sind.
May hatte noch Ende Mai erklärt, sie würde die Unterhauswahlen schon dann als verloren ansehen, wenn die Tories nur sechs Sitze einbüßten. Nun ist der Abschlag, den die Premierministerin auf ihren Neuwahl-Einsatz kassieren muss, weit größer - die Konservativen verlieren über zehn Sitze und die absolute Mehrheit.
Dass May angesichts dessen von einer »Phase der Stabilität« daherredet, welche die Tories für Großbritannien nun sicherstellen müssten, ist absurd. Ob sich May überhaupt noch als Parteichefin wird halten können, ist unklar. Und eine Regierungsmehrheit können die Konservativen nach der Absage der Liberaldemokraten allenfalls mit der rechtskonservativen DUP erreichen.
Der linke Publizist Owen Jones nannte die nordirisch-protestantische Rechtspartei den »politischen Flügel des 18. Jahrhunderts« und einen »Haufen homophober Bigotter«, die nun angesichts der Wahlergebnisse mit den Tories spielen könnten. Eine Not-Koalition der beiden brächte nicht nur für das notorisch kriselnde Nordirland schlechte Aussichten.
Gibt es eine Alternative? Sollte May damit scheitern, eine Regierungsmehrheit zu stemmen oder eine Minderheitsregierung zu gewährleisten, wäre Labour am Zug. Corbyn könnte versuchen, mit der Scottish National Party von Nicola Sturgeon eine Partnerschaft in der Minderheit zu organisieren, die als Brexit-Kritikerin mit sozialen Forderungen punktete - allerdings verlor die Partei bei den Unterhauswahlen deutlich an Boden. Hinzu kämen als Kooperationskandidaten die Walisische Plaid unter Leanne Wood, ebenfalls eine No-Brexit-Partei, und die Grünen unter Caroline Lucas. Ob eine Kooperation auch mit dem Liberaldemokraten denkbar ist, würde sich zeigen müssen.
Das Ergebnis für Labour, das nicht zuletzt Jeremy Corbyn ganz persönlich erreicht hat, straft all jene Lügen, die den Linkskurs des Sozialisten für die anhaltende Schwäche der Partei verantwortlich gemacht hatten. Er könne keinen Wahlkampf, hieß eine Parole seiner innerparteilichen Konkurrenten. Mit seinem Programm würde Labour in die Vergangenheit reisen und untergehen. Das ist nicht passiert. Im Gegenteil. Vielleicht wäre es ohne die innerparteiliche Schlammschlacht der Vergangenheit sogar ein noch besseres Ergebnis geworden. Corbyn hat Fehler gemacht, das steht außer Frage. Aber er hat auch aus Fehlern gelernt. Fast 30 zusätzliche Mandate sind ein Argument, an dem man nicht vorbeikommt.
Richtig ist freilich auch: Labour hat die Wahl nicht gewonnen, es reicht nicht für eine Mehrheit - und damit auch nicht für eine direkte Umsetzung des Programms. Das gilt sowohl innenpolitisch, wo die Durchsetzung vieler weitgehend linker Forderungen nun erst einmal offen ist. Und das gilt auch europapolitisch. Denn selbst wenn der »harte Brexit« von May an diesem Donnerstag abgewählt wurde, lässt sich aus dem Ergebnis auch nicht einfach eine Majorität für einen anderen Weg herausinterpretieren.
Die Schwierigkeit würde auch für eine Minderheitsregierung unter Labour sein, eine politische Vereinbarung mit der EU zu erzielen, die den Ausgang des Referendums von 2016 respektiert - und dennoch für soziale Rechte und ökonomische Verbindungen mit Europa eine neue, angemessene Form findet. Der Publizist Paul Mason hat dafür eine Möglichkeit genannt: eine Vertragsebene, wie sie etwa Norwegen oder die Schweiz mit der EU haben. Ob so etwas erreichbar ist, steht in den Sternen.
Die Linken nicht nur in Großbritannien werden sich nun auch die Frage stellen, ob sich die Aufholjagd von Labour zuallererst dem weit nach links ausgreifenden Wahlprogramm verdankt - oder doch eher dem Brexit-Hintergrund dieser Abstimmung. Es ist wohl an beidem etwas dran.
Schaut man sich die ersten verfügbaren Zahlen an, konnte Labour vor allem in Städten zulegen, in denen vor einem ein Gros der Arbeitermilieus für den Brexit votiert hatte. Ebenfalls zugewinnen konnte Corbyn in den großen Städten, die für einen Verbleib Großbritanniens in der EU waren. Hier dürfte vor allem eine große Zahl an jüngeren Wählern für Labour mobilisiert worden sein. Vielleicht liegt hier sogar eine kleine politische Revolution: Ersten Zahlen zufolge haben bei den 18- bis 24-Jährigen über 70 Prozent abgestimmt. Corbyns Partei hat mit dem Endspurt im Wahlkampf gezeigt, was möglich ist. Das Ergebnis zeigt aber auch, wo derzeit die Grenzen liegen.
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