Proteste gegen deutschen Kranz bei griechischem SS-Gedenken
Veranstaltung in Distomo von linker Politikerin gestört / Streit um Entschädigungszahlungen an Griechenland geht weiter
Athen. Bei einer Gedenkzeremonie für Opfer eines NS-Massakers an griechischen Zivilisten in Distomo ist der deutsche Botschafter Peter Schoof in eine hitzige Auseinandersetzung über Verbrechen Nazi-Deutschlands im Zweiten Weltkrieg verwickelt worden. Die Linkspolitikerin Zoe Konstantopoulou versuchte bei der Veranstaltung am Samstag den deutschen Diplomaten daran zu hindern, einen Kranz für die NS-Opfer von Distomo niederzulegen, wie ein am Sonntag in griechischen Medien und auf Facebook veröffentlichtes Video zeigt. Konstantopoulou ist dabei keine Unbekannte.
Die frühere SYRIZA-Politikerin und Parlamentspräsidentin rief unter anderem: »Sie müssen den Opfern Reparationen zahlen!« und »Sie haben nicht das Recht!«. Aus der Menge der Anwesenden waren »Bravo«- und »Schande«-Rufe zu hören.
Dann stellte sich der 94-jährige Widerstandskämpfer und ehemalige SYRIZA-Europaabgeordnete Manolis Glezos dem Botschafter zur Seite: Er erhob sich von seinem Platz in der ersten Reihe und führte Schoof an der Hand nach vorne, damit er den Kranz ablegen konnte. Die Geste wurde aus dem Publikum mit »Bravo«-Rufen quittiert. »Das Kind eines Verbrechers, was auch immer die Verbrechen seines Vaters oder seiner Mutter seien, ist dafür nicht verantwortlich«, sagte der in Griechenland weithin bekannte Held des Widerstands gegen die Nazi-Besatzung.
Zum Volkshelden wurde Glezos in Griechenland mit 18 Jahren durch eine tollkühne Aktion: Gemeinsam mit einem Freund kletterte er in der Nacht zum 31. Mai 1941 im besetzten Athen auf die Akropolis und entfernte dort die Hakenkreuzfahne. Von den deutschen Besatzern wurde er drei Mal festgenommen und wiederholt gefoltert.
Durch die Besatzung Nazis-Deutschlands von April 1941 bis September 1944 verloren rund 300.000 griechische Staatsangehörige ihr Leben. Die Nazis verübten zahlreiche Massaker. In Distomo ermordete eine Division der Waffen-SS am 10. Juni 1944 insgesamt 218 Menschen, darunter rund 50 Kinder. Andere Massaker wurden in Kommeno, Lyngiades, Kalavryta, Kandanos oder Viannos verübt. Außerdem nahm die Besatzungsmacht 1942 bei der griechischen Zentralbank einen Zwangskredit auf, der damals auf knapp 500 Millionen Reichsmark beziffert wurde.
Die Frage von Entschädigungszahlungen belastet die deutsch-griechischen Beziehungen. Athen bezifferte die Forderungen zuletzt auf 269,5 Milliarden Euro. Deutschland hat die griechischen Forderungen stets abgewiesen. Zur Begründung hieß es unter anderem, der Zwangskredit falle unter das Londoner Schuldenabkommen von 1953, das Deutschland von allen Reparationen und Kompensationen freispricht. Dagegen verweist Athen darauf, dass der Besatzungskredit und die Forderung nach Reparationen zu trennen seien.
2003 wies der Bundesgerichtshof entsprechende Reparationsforderungen ab, 2006 bestätigte das Bundesverfassungsgericht diese Auffassung. Agenturen/nd
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