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»Weg mit dem Kram!«

Parteitag der SPD in NRW: Der neue Vorsitzende entschuldigt sich für die Wahlschlappe und verspricht einen Neuanfang. Kraft taucht nicht auf

  • Bettina Grönewald, Duisburg
  • Lesedauer: 3 Min.

»Wir fordern von der alten Tante SPD: Mach' neu!« Solche Töne hat man lange nicht gehört auf einem SPD-Parteitag in Nordrhein-Westfalen. Beim außerordentlichen Landesparteitag in Duisburg fordern Jusos einen Neuanfang. Nach dem schlechtesten SPD-Landtagswahlergebnis in NRW wollen sie neue Saiten aufziehen: Streitkultur, mehr Mitbestimmung, verschwurbelte Sprache in fetten Programmen entschwurbeln, Parteitage entbürokratisieren - junge Leute an die Macht.

Das ganz große Scherbengericht erspart die grummelnde Basis den Partei-Granden. Das liegt vor allem am frisch gewählten Parteivorsitzenden Michael Groschek. Der war zwar ohne Einbindung der Basis hastig nach der Wahl-Pleite vom Vorstand nominiert worden, schafft es aber trotz dieses »Makels« mit einer mitreißenden Rede, die Herzen der rund 440 Delegierten zu erreichen.

Gleich zu Beginn sagt der 60-Jährige: »Die Landtagswahl wurde nicht bei euch vor Ort verloren. Die Wahl wurde bei uns auf Landesebene verloren.« Dafür entschuldige er sich im Namen aller Verantwortlichen in der Partei- und Regierungsspitze. »Wir haben die Karre vor die Wand gefahren, weil wir uns zu sicher waren und nicht glaubten, dass Armin Laschet Hannelore Kraft besiegen kann.«

Zustimmendes Johlen erntet er für den Satz: »Die Partei darf nicht zur schweigenden Mehrheit werden.« Groschek verspricht eine schonungslose »Generalinventur« und will mit alten Ritualen und SPD-Folklore aufräumen. »Weg mit dem Kram!«, schimpft er über das oft zitierte Mantra des SPD-»Stammlands« NRW. »Herzkammer - alles Pustekuchen und Selbstbetrug. Wir brauchen einen Neuanfang, der sich gewaschen hat.«

Solche Sätze zeigen Wirkung. »Deine Rede hat eine Menge Druck aus dem Kessel gelassen«, sagt ein Delegierter mit 45 Jahren SPD-Mitgliedschaft, der nach eigenem Bekunden gekommen war, »um mal meiner Wut und Enttäuschung Luft zu machen«. Eines will er aber doch: »Reformiert diese Parteitage! Ich habe diese zig Seiten langen Leitanträge satt. Man weiß ja nicht mal mehr, worüber man abstimmt - aber meist mit großer Mehrheit.« Eine andere Genossin bescheinigt Groschek: »Du hast die sozialdemokratische Seele gestreichelt.«

Aber auch kritische Stimmen brechen sich in ungewohnter Offenheit Bahn. Schon am Morgen leuchtet ein rotes Magazin der Jusos »Zur Zukunft der NRW-SPD« auf den Tischen der Delegierten. Eigentlich habe sich die NRW-SPD schon nach ihrer Wahlniederlage 2005 geschworen, »nicht noch einmal den Fehler zu machen, die Partei in einer Regierungszeit auf Autopilot zu stellen«, befindet Juso-Landeschef Frederick Cordes. »Trotzdem haben wir uns mit Waffelbacken und Zäune streichen begnügt und zahlen nun die Zeche.«

Bizarr: Hannelore Kraft - über zehn Jahre lang Leitfigur der NRW-SPD - taucht beim Parteitag nicht auf. Stattdessen hat sie am Tag zuvor ihren Auftritt in allen sozialen Netzwerken gelöscht.

Die große »Generalinventur« mit schonungsloser Fehleranalyse der Ära Kraft soll nach der Bundestagswahl erfolgen. Ein entsprechender Leitantrag wird einstimmig bei einigen Enthaltungen verabschiedet. Groscheks Wahlergebnis ist mit knapp 86 Prozent nicht berauschend nach Jubel-Ergebnissen oberhalb von 95 Prozent für Kraft in den vergangenen zehn Jahren.

Der Chef der Bundes-SPD, Martin Schulz, ist erleichtert, dass der NRW-Parteitag nicht eskaliert und spricht von einem »Zeichen der Ermutigung«. Ansonsten bleibt er bei seinem Credo: »Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu garantieren, ist unser Projekt. Auf in den Kampf.« dpa

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