Chemie Leipzig: Von den Behörden in die Zange genommen

Fußballer Maximilian Heyse über die Überwachung seiner Person und wie es sportlich für den Traditionsverein weitergeht

  • Fabian Hillebrand
  • Lesedauer: 4 Min.

Zwischen Oktober 2013 und November 2016 wurde die BSG Chemie Leipzig systematisch von den sächsischen Behörden überwacht. Fans, Sozialarbeiter und Vorstandsmitglieder wurden durchleuchtet. Bei den Ermittlungen geriet auch ein aktiver Spieler des Viertligisten ins Visier der Behörden. »neues deutschland« sprach mit dem Innenverteidiger Maximilian Heyse über die Überwachung seiner Person im Zuge des Verfahrens nach eines §129 in Leipzig.

Im Zuge der Ermittlungen der sächsischen Staatsanwaltschaft in Leipzig wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung haben auch Sie Post von der Staatsanwaltschaft bekommen. Erst durch diese Briefe wurden die Ermittlungen bekannt. Was wurde Ihnen mitgeteilt?
In dem Brief wurde mir mitgeteilt, dass im Zuge der Ermittlungen gegen das Umfeld meines Vereins Chemie Leipzig auch meine persönliche Kommunikation überwacht worden ist, also vor allem mein Handy. Der Umfang der Überwachung ist gewaltig. Die Behörden haben das volle Repertoire der ihnen zur Verfügung stehenden Mittel genutzt. Eigentlich wurde »nur« gegen 14 Personen ermittelt. Aber im Zuge des Verfahrens sind über 200 Menschen »mitabgehört« worden. Darunter Ärzte, Rechtsanwälte, Landespolitiker. Und eben auch ich. Genaue Angaben habe ich noch nicht, aber ich gehe davon aus, dass die Ermittler alles abgehört haben – Anrufe, Chats und so weiter.

Der Interviewte

Maximilian Heyse, Jahrgang 1990, kickt seit Herbst 2012 für die BSG Chemie Leipzig. Mit seinen 1,92 Metern spielt er vor allem als Innenverteidiger, manchmal hilft er aber auch als Mittelstürmer aus. Der gebürtige Frankfurter trägt die Rückennummer 18. Mit ihm sprach für das »nd« Fabian Hillebrand.

Was haben Sie gedacht, als Sie von den Abhörmaßnahmen mitbekommen haben?
Das war ein riesiger Schock. Überwachung kannte ich so nur aus der Glotze. Man macht sich da schon Gedanken. Ich habe ein Smartphone und benutze es jeden Tag, auch die Kamera. Man fühlt sich in seiner Privatsphäre extrem eingeschränkt. Ich will gar nicht wissen, was die alles an privaten Daten erfasst haben. Chats mit meiner Freundin zum Beispiel. Das ist gruselig. Ich habe seitdem ein ganz anderes Verhältnis zu meinem Handy. Die Ermittlungen sind ja ergebnislos eingestellt worden. Unterbewusst gehe ich seitdem aber die ganze Zeit davon aus, dass irgendwer alles, was ich schreibe, mitliest.

Was halten Sie davon, dass die sächsischen Behörden Ihren ganzen Verein ins Visier genommen haben?
Die Aufmerksamkeit fiel auf uns, weil wir als links-alternativer Verein gelten. Die Jungs und Mädels, die zu unseren Spielen gehen, gehen auch auf Demos. Da ist doch nichts dabei. Und geht außerdem nur sie etwas an.

Wie ist Ihr Verhältnis zur Fanszene?
Ich liebe die Fanszene hier. Es ist immer eine tolle Stimmung. Es wird oft gesagt, unsere Fanszene sei politisch links eingestellt. Das mag sein. Ich glaube aber vor allem, dass unsere Fanszene einen gesunden Menschenverstand hat. Es sind Menschen, die sich reflektiert mit der Gesellschaft auseinandersetzen, in der sie leben. Bestimmte Dinge gehören eben nicht ins Stadion. Das gilt für Rassismus und auch für andere menschenverachtende Ideologien.

Sie haben lange für die BSG gespielt. Was macht den Verein für Sie aus?
Ich war zwar noch nie am Millerntor, aber das hier ist auf jeden Fall das kleine St. Pauli. Ich habe mich immer wie ein Teil des Ganzen gefühlt. Besonders in den schwierigen Zeiten in den unteren Ligen waren wir immer alle füreinander da. Die Spieler, die Betreuer und auch die Fans. Es ist eine Riesensache, in einer solch positiven Gemeinschaft aufzugehen – gerade in unser heutigen Gesellschaft. Das gibt es im Fußball nicht so oft.

Sie werden in der kommenden Saison wahrscheinlich nicht mehr für die BSG-Chemie spielen. War das ihre eigene Entscheidung?
Es war eine beidseitige Entscheidung. Ich bin jetzt 27, einige sagen im besten Fußballeralter. Aber ich habe erst einmal andere Dinge im Kopf. Ich gehe ja seit meinem fünften Lebensjahr quasi durchgängig fünf Mal in der Woche zum Fußball. Jetzt fühle ich, dass es an der Zeit ist, andere Wege einzuschlagen. Und es ist ein guter Moment, um aufzuhören, nachdem wir eine so tolle Aufstiegssaison hingelegt haben.

Chemie Leipzig ist gerade in die vierte Liga aufgestiegen. Wie haben sie den Aufstieg ihrer Mannschaft erlebt?
Es war eine wunderschöne Saison. Wir haben ein tolles Niveau über die ganze Hin- und Rückrunde durchgezogen. Ich bin stolz auf die Jungs. Und auch auf alle anderen. Mein Dank gilt besonders den Fans. Wir hatten gefühlt nur Heimspiele. Ich werde den Weg des Vereins weiterverfolgen. Und die Mannschaft weiter unterstützen – jetzt eben von der Fan-Tribüne aus.

Was macht der Aufstieg mit dem Verein? Stehen größere Veränderungen an, um in der Regionalliga mitzuhalten?
Ja, davon gehe ich aus. Es wird mit einem sechsstelligen Etat geplant. Das ist auch notwendig. In der Regionalliga warten ganz andere Gegner. Das Derby gegen Lok Leipzig zum Beispiel. Und noch weitere Kracher. Um das zu bestehen, muss man ein paar Sachen machen. Auch um den Verein herum. Die Rahmenbedingungen müssen eben passen. Aber ich bin mir ganz sicher, dass der Verein das hinbekommt. Es wird aber nicht ganz ohne Wechsel gehen, auch um den Kader aufzustocken.

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