Griechenland fehlt es weiterhin an Perspektive
Die Wirtschaft wächst kaum und die Arbeitslosigkeit vor allem bei Jugendlichen ist nach wie vor extrem hoch
Wer dieser Tage auf Touristik-Webseiten nach Reisezielen sucht, wird besonders häufig in Griechenland fündig. Drei der zehn schönsten Strände Europas befinden sich in dem Krisenland. Das lockt Gäste in das Land und lässt hoffen: Nachdem vergangenes Jahr bereits 27,5 Millionen Touristen nach Hellas kamen, soll dieses Jahr die 30-Millionen-Marke geknackt werden, hoffen Branchenvertreter des Landes.
Die Insel Kreta, wo laut Reiseportalen der schönste Strand des Landes und der zweitschönste Europas zu finden ist, soll sogar einen neuen Großflughafen bekommen, damit noch mehr Touristen dorthin fliegen können. Immerhin werden in der Branche mittlerweile 19 Prozent des Bruttoinlandproduktes des Landes erwirtschaftet. 423 000 Jobs hingen 2016 vom Tourismus direkt ab und 70 Prozent der im Mai neu geschaffenen 90 000 Stellen entfallen auf die Tourismusbranche.
Doch ist der Tourismusboom vermutlich die einzige Erfolgsgeschichte, die in den vergangenen Jahren in Griechenland geschrieben wurde. Zwar konnten die Statistiker des Landes für das erste Quartal dieses Jahres ein kleines Wachstum der Wirtschaft von 0,4 Prozent vermelden. Doch in Folge der Krise beträgt die Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung nur noch zwei Drittel des EU-Durchschnittes. Weiterhin ist ein großer Teil der Bevölkerung ohne Perspektive: 22,5 Prozent sind arbeitslos, bei den Jugendlichen liegt die Quote sogar bei 46,6 Prozent. Zum Vergleich: Hierzulande waren zuletzt gerade einmal 6,8 Prozent der Unter-25-Jährigen arbeitslos gemeldet.
Die Folge ist, dass mehr als ein Fünftel aller Griechen so wenig Geld zur Verfügung hat, dass sie ganz offiziell als von Armut gefährdet gelten. Die aktuellsten Zahlen, die die EU-Statistikbehörde Eurostat für Griechenland ausweisen kann, stammen noch aus dem Jahr 2015. Das gilt übrigens auch für Deutschland, wo 16,7 Prozent der Bevölkerung von monetärer Armut betroffen sind.
Dass diese Quote in Hellas seit 2013 sank, ist indes kein positives Zeichen, da gleichzeitig auch die Armutsgefährdungsschwelle niedriger wurde. So galt in Griechenland 2010 noch als von Armut gefährdet, wer weniger als 7559 Euro im Jahr zur Verfügung hatte. 2015 lag dieser Wert bei 5281 Euro.
Dahinter steckt ein massiver Einkommensverlust eines Großteils der Bevölkerung. Denn die Armutsgefährdungsschwelle beträgt 60 Prozent des sogenannten Medianeinkommens. Dies ist das Einkommen, bei dem genau die eine Hälfte der Gesellschaft mehr und die andere Hälfte weniger zur Verfügung hat. So ist das sogenannte mittlere Äquivalenzgesamteinkommen, also das Einkommen, das eine Erwachsene Person in der Mitte der Gesellschaft für sich zur Verfügung hat, seit Ausbruch der Eurokrise massiv eingebrochen. Lag dieser Wert 2010 noch bei 11 905 Euro, hatten Menschen in der Mitte der griechischen Bevölkerung 2015 nur noch 7167 Euro zur Verfügung.
Immerhin scheint der Tiefpunkt erreicht zu sein. Denn nicht nur die Wirtschaft wächst wieder, auch die Arbeitslosigkeit geht allmählich zurück. Doch gleichzeitig verlangten die Gläubiger Griechenlands weitere Kürzungen im sozialen Bereich von der SYRIZA-geführten Regierung in Athen. Die Umfragewerte für Ministerpräsident Alexis Tsipras sind deswegen im Keller. Ende Mai macht eine Studie der University of Macedonia Schlagzeilen, der zufolge vier von zehn befragten Griechen der Meinung sind, dass die von Tsipras durchgeführten Kürzungsmaßnahmen die schlimmsten seit Ausbruch der Krise sind.
Als das Parlament Ende Mai ein neues, fünf Milliarden Euro schweres Sparprogramm absegnete, kam es zu massiven Ausschreitungen in Athen. Das Programm sieht eine Kürzung der Renten ab 2019 um bis zu 18 Prozent und eine Senkung des jährlichen Steuerfreibetrags ab 2020 um rund ein Drittel vor.
Tsipras setzte dies in Hoffnung auf neue Kredite und Schuldenerleichterungen durch die Gläubigerinstitutionen durch. Doch diese kamen ihm bisher noch nicht entgegen.
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