Das Versagen der Gebäudemanager

Im Londoner Grenfell Tower wurden offenbar alle Brandschutzvorkehrungen missachtet

London ist das bekannteste Beispiel für die Umgestaltung einer Großstadt zugunsten von Luxuswohnungen. Was weniger bekannt ist: Die britische Hauptstadt war über Jahrzehnte Vorbild beim sozialen Wohnungsbau. Strenge Regeln für die Umwidmung und beim Neubau sorgten dafür, dass die einfachen Leute nicht auf der Strecke blieben. Unter Margret Thatcher wurden viele dieser Vorschriften geschleift - ein exzessiver Boom im Luxussektor hatte für unerschwingliche Preise gesorgt. Sozialwohnungen wurden vom Staat vernachlässigt und immer seltener.

Diese Entwicklung ging offenbar auch zu Lasten der Sicherheit. Bereits 2009 kamen bei einem Brand im 14-geschössigen Lakanal House sechs Menschen ums Leben. Das von einem Kurzschluss in einem Fernseher verursachte Feuer breitete sich aufgrund mangelhaften Brandschutzes schnell auf andere Stockwerke aus. Der Stadtrat von Southwark kündigte daraufhin Programme für mehr Sicherheit an. Im Februar dieses Jahres bekannte sich der Bezirk bei vier von der Londoner Feuerwehr angestrengten Verfahren für schuldig, gegen Brandschutzbestimmungen verstoßen zu haben, und zahlte 270 000 Pfund Strafe.

Eine nach der Katastrophe einberufene Untersuchungskommission ermittelte, dass rund 4000 Hochhäuser aus den 1970er Jahren in London nicht über Sprinkler-Anlagen verfügen, die im Ernstfall Schlimmeres verhüten könnten. Nachgerüstet wurden sie bis heute nicht, auch die von der Regierung versprochene Überarbeitung der Bausicherheitsvorschriften bleib aus.

Eins der Häuser ohne Sprinkler-Anlagen ist der Grenfell Tower im Stadtteil North Kensington, in dem in der Nacht zum Mittwoch ein Brand ausbrach - mit noch katastrophaleren Folgen: Die Polizei geht mittlerweile von mindestens 17 Todesopfern aus, wie ein Sprecher sagte. Nach Angaben von Londons Feuerwehrchefin Dany Cotton werde noch eine »unbekannte Zahl« von Bewohnern in dem Hochhaus vermutet. »Es wäre ein absolutes Wunder«, sollte einer von ihnen das Inferno überlebt haben. Bis das Gebäude vollständig durchsucht sei, werde es »Wochen dauern«.

In dem Sozialbau mit 120 Wohnungen lebten laut Medienberichten zwischen 400 und 600 Menschen, vor allem Migranten. Über den Auslöser des Brandes gibt es bisher keine verlässlichen Informationen. Zunehmend verdichten sich aber die Hinweise darauf, warum sich die Flammen so extrem schnell über das 24-stöckige Hochhaus ausbreiten konnten. Die bei Renovierungen in den Jahren 2014 bis 2016 angebrachte Außenverkleidung war eine »vorgehängte Fassade«. Dabei ist die äußerste Schicht, die gegen Schlagregen schützen soll, durch eine Luftschicht von dahinterliegenden Schichten getrennt. Diese fungierte bei dem Brand offenbar wie ein Windkanal, der den Kamineffekt auslöste, bei dem Rauschgase nach oben abgeleitet werden. Das Material war offenbar leicht entzündlich und die Blöcke nicht feuerdicht voneinander getrennt. Anwohner vermuteten, die Verkleidung sollte den Block lediglich besser aussehen lassen, da in der Nähe der Bau von Luxuswohnungen geplant war.

Das Gebäude verfügte zudem nicht über Sprinkler-Anlagen, Notbeleuchtungen und Alarmanlagen funktionierten in Teilen nicht, auch gab es keine freie Feuerwehrzufahrt. Diese Missstände waren seit Jahren bekannt; die Mieterinitiative Grenfell Action Group schrieb immer wieder an die Behörden, die untätig blieben. Eine solche Katastrophe sei unvermeidlich und nur eine Frage der Zeit gewesen, erklärte die Initiative jetzt. Auch der Brandschutzexperte Jon Hall teilt die Kritik: »Alle Bestandteile der Feuersicherheit und des Gebäudemanagements« müssten versagt haben, twitterte er.

Der Bezirk Kensington and Chelsea, Englands reichste Kommune, hatte alle 10 000 Sozialwohnungen, um Kosten zu sparen, an die Verwaltungsgesellschaft KCTMO übertragen. Bei diesem im Lande üblichen Modell fließen üppige staatliche Zuschüsse an die Organisationen, damit diese ausreichend in die Quartiere investieren. Was offenbar nicht geschieht.

Die Politik zeigt sich jetzt betroffen. Premierministerin Theresa May drückte den Opfern ihre Anteilnahme aus und besuchte am Donnerstag den Brandort, wo sie mit Feuerwehrleuten sprach. Londons Bürgermeister Sadiq Khan, der im Mai 2016 auch angetreten war, um die Zustände auf dem Wohnungsmarkt für einfache Leute zu verbessern, versprach umfassende Aufklärung. Der Labour-Politiker Jim Fitzpatrick, selbst früher Feuerwehrmann, kritisierte: »Diese Arten von Bränden sollten im 21. Jahrhundert in London nicht mehr vorkommen. Wir wissen, wie man sichere Gebäude errichtet und wie man Feuer sehr schnell löschen kann, wenn sie ausgebrochen sind.«

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