Schäuble betreibt mit Griechenland Wahlkampf
Giegold: Kürzungen bei Rentnern und Niedriglöhner sind »eine Schande« / De Masi: Athen braucht Schuldenschnitt / Kahrs: Bundestag muss mitentscheiden
Griechenland erhält nach monatelangem Hin und Her rund 8,5 Milliarden Euro aus dem Eurorettungsschirm ESM. Darauf einigten sich die Euro-Finanzminister am Donnerstagabend. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) sagte nach langem Zögern formal seine Beteiligung an dem Kreditprogramm zu, wenngleich er zunächst kein eigenes Geld gibt. Der griechische Finanzminister Efklidis Tsakalotos sagte: »Jetzt gibt es Licht am Ende des Tunnels.«
»Endlich ist die Hängepartie beendet. Die Auszahlung der Kreditrate ist eine gute Nachricht«, kommentiert dann auch Sven Giegold, wirtschafts- und finanzpolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament, das Ergebnis der Verhandlungen, lässt aber direkt ein großes aber folgen: »Trotz der Erleichterung über die Einigung dürfen die harten Bedingungen für die Menschen in Griechenland nicht beschwiegen werden«, so Giegold. Zu den besonders harten Maßnahmen zählt der Grünen-Politiker die nochmaligen Kürzungen von Kleinrenten und Steuererhöhungen für Niedriglöhner. Beide Maßnahmen bezeichnete er als »eine Schande«. Es »sei beschämend, dass die deutsche Bundesregierung zusammen mit dem IWF der griechischen Regierung solch unsoziale Sparmaßnahmen abgepresst hat.«
Die neuen Kürzungsprogramme seien jedoch keine nachhaltigen Strukturreformen, wie sie Griechenland dringend brauche, sondern »eine ökonomisch schädliche und sozial gemeine Kürzungspolitik auf dem Rücken der Schwächsten«. Die harte Linie von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) bezeichnet Giegold als »ökonomisch unvernünftigen Wahlkampf auf Kosten der Menschen in Griechenland.«
LINKE: Milliarenkredite haben bisher nicht geholfen
Ähnlich vernichtend fällt das Fazit des LINKEN-Wirtschaftsexperten Fabio De Masi aus: »Die Eurogruppe verkommt zu einer Truppe überbezahlter Laienschauspieler und Schäuble führt Regie«, erklärte der Europaabgeordnete.
De Masi kritisiert besonders, dass es vor der Bundestagswahl keine Umschuldung mehr geben soll, damit »Schäuble nicht den Konkursverwalter seiner vermeintlichen Rettungspakete spielen« müsse. Der LINKEN-Politiker erinnerte daran, dass die bisherigen »Rettungsmilliarden für Griechenland« zu über 90 Prozent in den Schuldendienst geflossen sind. Es sei absurd, »einer überschuldeten Volkswirtschaft neue Kredite zur Ablösung alter Schulden aufzupressen und zugleich über die Kürzungsdiktate dafür zu sorgen, dass kein hinreichendes Einkommen erwirtschaftet wird«.
Derzeit gebe es keinen Hinweis darauf, dass die griechische Wirtschaft sich erhole. Im Gegenteil rutsche die das Land gerade erneut in eine Rezession, die mit jedem neuen »Rettungspaket« verlängert werde, warnt De Masi. Auch mit dem neu bewilligten Milliardenkredit werde dies nicht besser, wenn man sich die daran geknüpften Bedingungen anschaut. Der LINKE-Politiker beklagt, dass die öffentliche Infrastruktur »zu Spottpreisen an private Investoren verramscht« werde, Massenentlassungen vereinfacht und weitere Rentenkürzungen im Umfang von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts geplant sind. All diese Maßnahmen »schaffen keinen Aufschwung«.
Griechenland brauche stattdessen einen Schuldenschnitt und »alle verfügbaren Mittel, um zu investieren«, so De Masi. Auch müssten griechische Staatsanleihen zur Refinanzierung bei der EZB wieder zugelassen werden.
Kahrs fordert Bundestags-Votum über Griechenland-Kredit
Für den SPD-Haushaltspolitiker Johannes Kahrs geht es vor allem darum, dass der gesamte Bundestag und nicht allein der Haushaltsausschuss über die erzielte Einigung der Eurogruppe berate. »Ich werde meiner Fraktionsspitze empfehlen, über die Einigungsformel im Parlamentsplenum zu beraten«, sagte Kahrs am Freitag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. »Das möchte ich nicht im Haushaltsausschuss abfrühstücken, sondern darüber soll jeder Abgeordnete im Plenum offen diskutieren.«
Jeder wisse, dass die Einigung zur Freigabe weiterer Milliardenkredite an Griechenland und zur Beteiligung des IWF nur ein Formelkompromiss sei. IWF-Chefin Christine Lagarde habe Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) einen Gefallen getan, sagte Kahrs. Aus seiner Sicht reicht es nicht aus, dass der IWF prinzipiell ein eigenes Programm zugesagt habe, aus dem aber vorerst kein Geld ausgezahlt werden soll. Die Beteiligung des IWF am aktuellen dritten Kreditprogramm, das im Sommer 2018 ausläuft, war Bedingung für die Zustimmung des Bundestages.
Kahrs sieht die Konditionen jedoch nicht erfüllt. Die IWF-Beteiligung werde auf die Zeit nach der Bundestagswahl ins nächste Jahr verschoben, sagte er: »Es gibt nur ein weiteres Verschieben, um nicht zu sagen, wie die Lage wirklich ist.« Letztlich müsse aber die Fraktionsspitze über das weitere Vorgehen entscheiden.
Schäuble dagegen hält den Kompromiss für keine wesentliche Änderung des laufenden Programms. Dies würde bedeuten, dass der Bundestag nicht erneut darüber abstimmen müsste. Haushaltspolitiker des Parlaments sollten am Freitag über die Einigung unterrichtet werden. rdm mit Agenturen
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