Premier Sobotka tritt als Parteichef zurück

Wenige Monate vor den Parlamentswahlen sind Tschechiens Sozialdemokraten im Umfragetief

  • Jindra Kolar, Prag
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Gerüchteküche hatte es bereits Anfang seit Tagen signalisiert: Bohuslav Sobotka, Chef der sozialdemokratischen Partei (CSSD) und Premierminister des Landes, wird vom Parteivorsitz zurücktreten. Was zunächst niemand bestätigen wollte, wurde dann auf einer Pressekonferenz erklärt. Nachfolger Sobotkas an der Parteispitze wird Innenminister Milan Chovanec. Den Wahlkampf für die im Oktober anstehenden Parlamentswahlen wird Außenminister Lubomír Zaorálek leiten. Am Sonnabend will die CSSD ihr Wahlprogramm vorstellen.

Sobotka zog mit dem Rücktritt von der Parteispitze die Konsequenzen aus den verheerenden aktuellen Umfragewerten der CSSD. Wären morgen Wahlen, käme sie auf gerade einmal zehn Prozent und würde in der politischen Landschaft nur noch eine Außenreiterrolle spielen. Den Sieg prognostizieren die Meinungsforschungsinstitute der Bewegung unzufriedener Bürger ANO. Obwohl deren Chef Andrej Babis wegen des Verdachts auf Steuerbetrug vom Posten des Finanzministers zurücktreten musste. Das war Sobotkas letzter Triumph.

Mit seinem Rückzug wolle er ein Zeichen für die Erneuerung der Partei setzen, so der Ministerpräsident. Es gelte, Mitglieder, Sympathisanten und Wähler zu überzeugen, dass die CSSD willens und in der Lage sei, Tschechien weiterhin erfolgreich zu führen, so der Regierungschef. Der personelle Wechsel in der Führung solle zeigen, dass sich die Partei den neuen Aufgaben stellt. Es werde kein Triumvirat an der Parteispitze geben, widersprach Sobotka anderslautenden Pressespekulationen.

Sobotka führte die CSSD seit 2011, nachdem der damalige Parteichef Jiri Paroubek wegen verschiedener politischer Skandale zurücktreten musste. 2013 gewannen die Sozialdemokraten knapp die Parlamentswahlen. Nach einigem Hin und Her wurde schließlich Sobotka mit der Bildung einer Koalitionsregierung beauftragt, an der auch ANO und die christdemokratische KDU-CSL beteiligt sind.

Doch seither hat die CSSD bei allen Wahlen - ob zum EU-Parlament, auf kommunaler Ebene oder bei den Teilsenatswahlen - verloren. »Die öffentliche Wahrnehmung korrespondiert nicht mit dem, was die CSSD für das Land getan hat«, resümierte Sobotka den Stand der Dinge. Außenminister Lubomír Zaorálek soll nun die Partei retten. Er wird den Wahlkampf leiten und soll Spitzenkandidat der CSSD für das Amt des Regierungschefs werden.

Der langjährige Parlamentspräsident ist bei allen politischen Parteien geachtet. Sein manchmal bissiger Humor hat etliche Klippen in der parlamentarischen Diskussion umschifft. »Wir werden die uns gestellte Aufgabe mit aller Kraft angehen und ein bestmögliches Wahlergebnis für die Partei erzielen«, erklärte der neue Kandidat optimistisch. Milan Chovanec fügte hinzu, dass man nun die Einheit in der Sozialdemokratie festigen und Streitigkeiten beenden müsse, um eine geschlossene CSSD in die Wahl zu führen. Nach Oktober soll dann ein außerordentlicher Parteitag die Gremien neu wählen.

Der jetzige Entschluss Sobotkas, vom Parteiamt zurückzutreten und auch nicht wieder für den Posten des Regierungschefs zu kandidieren, wird hierzulande auch mit persönlichen Problemen des Politikers in Verbindung gebracht. Am Vorabend des Rücktrittsgesuchs kündigte Sobotka die Trennung von seiner Ehefrau an. Am heutigen Samstag will der Zentralausschuss der CSSD nun sowohl den Rücktritt des Parteichefs annehmen als auch das Wahlprogramm absegnen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.