Sozialpolitik ist die beste Prävention gegen Kriminalität

Jan Korte, Abgeordneter der Linkspartei, über mehr Sicherheit für Bürger und Gesetzesverschärfungen

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 3 Min.

Herr Korte, kürzlich hat die Innenministerkonferenz stattgefunden. Was sind die Folgen?
Durch Verschärfungen im Strafrecht sollen die Befugnisse der Sicherheitsbehörden zum Einsatz von Funkzellenabfragen massiv ausgeweitet und der Zugriff auf verschlüsselte Messengerdienst-Kommunikation ermöglicht werden. Ebenso wird die Feststellung des Alters, der Hautfarbe und der Herkunft mittels erweiterter DNA-Analyse erlaubt. Das Polizeirecht soll weiterhin bundesweit mit Hilfe eines Mustergesetzes harmonisiert und deutlich verschärft werden. Dass schon sechsjährige Flüchtlingskinder künftig Fingerabdrücke abgeben müssen und das BKA mit Hilfe neuer Analysemodelle in Zukunft Gefährder besser einstufen können soll, fällt da kaum noch auf.

Im aktuellen Wahlkampf spielt das Thema Innere Sicherheit eine große Rolle. Braucht Deutschland überhaupt neue Gesetzesverschärfungen?
Die bisherige Gesetzeslage ist ausreichend, woran es hapert, ist die Umsetzung. Die meisten aktuellen Forderungen, beispielsweise von Bayerns Innenminister Herrmann, der den Inlandsgeheimdienst bundesweit auch Kinder bespitzeln lassen will, sind billiger, aber gefährlicher Populismus. Statt mit den Ängsten der Menschen Wahlkampf zu betreiben, brauchen wir dringend eine Versachlichung und Rationalisierung der Debatte.

Zur Person

Jan Korte sitzt für die Linkspartei im Innenausschuss des Deutschen Bundestages. Die Schwerpunkte des Abgeordneten liegen im Bereich Datenschutz, Bürgerrechte und Sicherheitspolitik. Der 40-Jährige ist zudem stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Linkspartei im Bundestag. Mit dem Politiker sprach Sebastian Bähr.

Seit 2001 gab es etliche Verschärfungen im Asylrecht, in Antiterror-Gesetzen sowie in der Cyberüberwachung. Hat sich dadurch die Sicherheitslage verbessert?
Meiner Einschätzung nach nein. Die Gesetzesverschärfungen zielten entweder auf Massenüberwachung oder waren aktionistische Symbolpolitik ohne die behaupteten Effekte. Jedenfalls konnte bislang die Bundesregierung nicht belegen, dass irgendeine Maßnahme zu ganz konkreten Erfolgen geführt hat. Die Maßnahmen zur Austrocknung der Terrorfinanzierung führten nach Auskunft der Bundesregierung beispielsweise noch nicht einmal zu 9000 Euro, die konfisziert wurden. Und was aus den angeblich wichtigen Fußfesseln geworden ist, weiß niemand. Wir wissen dafür, dass seit 2014 alle 24 identifizierten Täter islamistischer Mordanschläge in der EU zuvor den Behörden als gewaltaffin bekannt waren und die Anschläge trotzdem nicht verhindert wurden.

Laut polizeilicher Kriminalstatistik liegt die Zahl der registrierten Straftaten seit Jahren mit Schwankungen bei rund sechs Millionen. Dennoch scheint es heute ein größeres Bedürfnis nach Sicherheit in der Gesellschaft zu geben. Woran liegt dies Ihrer Meinung nach?
Dass die gefühlte und die tatsächliche Sicherheit immer weiter auseinanderzudriften scheinen, liegt sicher einerseits an den Angstkampagnen autoritärer Politiker, einer auf Effekthascherei abzielenden Medienberichterstattung und den zum Teil völlig von der Realität entkoppelten Debatten in den sozialen Netzwerken. Und andererseits bestimmt auch daran, dass die Polizeipräsenz in der Fläche in den letzten Jahren kontinuierlich von den neoliberalen Nachtwächtern abgebaut wurde, so dass viele das Gefühl haben, in total unsicheren Zeiten zu leben.

Wie können unter diesen Umständen das Sicherheitsbedürfnis und Bürgerrechte in Einklang gebracht werden?
Wir brauchen eine unabhängige Evaluation aller sogenannten Sicherheitsgesetze der letzten 15 Jahre. Alles muss auf den Prüfstand, ob es tatsächlich mehr Sicherheit gebracht oder vielmehr nur Freiheit eingeschränkt hat. Und wir brauchen mehr reale öffentliche und soziale Sicherheit, mehr Personal für die Polizei - insbesondere für den Streifendienst - mehr Prävention, funktionierende Nachbarschaften und Kommunen. Das kostet mehr als Gesetzesverschärfungen und ist nicht so schlagzeilentauglich. Dafür ist es zielführend, grundgesetzkonform und verantwortungsvoll gegenüber den Menschen in diesem Land. Alles in allem, es bleibt dabei: die beste Kriminalitätsprävention ist eine gelungene Sozialpolitik.

Welche der geplanten Verschärfungen stellen aus Ihrer Sicht eine besonders große Gefahr dar?
Anfang Juli tritt die Vorratsdatenspeicherung in Kraft. Im Schnellverfahren soll nun noch der Einsatz sogenannter Bundestrojaner - also Schadprogramme, mit denen der Staat zum Hacker wird und Bürger gezielt ausspionieren kann - Einzug in die Alltagsarbeit der Polizei erhalten. Die Vorratsdatenspeicherung der Fluggastdaten folgt. Die Überwachungsgesamtrechnung ist längst so hoch, dass die Grundrechte kurz vor der Insolvenz stehen.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.