Deutsche Energiewirtschaft missachtet Menschenrechte
Germanwatch und Misereor werfen deutsche Firmen vor, bei ihren Auslandsgeschäfte Menschenrechtsverletzungen in Kauf zu nehmen
Die Umweltschutzorganisation Germanwatch und das christliche Hilfswerk Misereor haben eine gemeinsame Studie vorgestellt. Unter dem Titel »Globale Energiewirtschaft und Menschenrechte - Deutsche Unternehmen und Politik auf dem Prüfstand« setzen sie sich mit dem Agieren deutscher Unternehmen im Ausland auseinander. Das Fazit: Die Firmenpolitik von deutschen Energiekonzernen wie Siemens oder Wintershill habe in den vergangenen Jahren zu vielfachen Menschenrechtsverletzungen geführt.
Die Studie nennt mehr als zehn Fälle, in denen deutsche Konzerne der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen sind. »Einerseits fördert die Bundesregierung aktiv deutsche Auslandsgeschäfte im Energiesektor durch Außenwirtschaftsförderung, Kredite der KfW IPEX-Bank und Handelsabkommen der EU. Andererseits hat sie immer noch keine ausreichenden gesetzlichen Vorgaben getroffen, damit in jedem Fall die Menschenrechte von Anfang an respektiert werden«, mahnt Pirmin Spiegel, Hauptgeschäftsführer von MISEREOR.
Energiekonzerne stehen schon allgemein nicht in dem Ruf, besonders Sozialverträglich zu agieren: Etwa ein Drittel der unternehmensbezogenen Vorwürfe zu Menschenrechtsvorwürfen entfallen auf den Energie – und Rohstoffsektor. Zu solchen Menschenrechtsverletzungen gehört auch die ausbleibende Vermeidung von Treibhausemissionen. »Deutsche Unternehmen tragen Verantwortung für die Achtung der Menschenrechte, wenn sie Kohle und Erdöl aus problematischen Fördergebieten einführen oder sich als Zulieferer und Dienstleister etwa an Großstaudämmen beteiligen. Dies gilt zudem, wenn sie als Großemittenten zum Klimawandel beitragen, der in immer mehr Regionen das Recht auf Leben, Nahrung oder Wasser gefährdet«, erklärt Christoph Bals, politischer Geschäftsführer von Germanwatch.
Für die Studie wurden 30 Unternehmen im Energiesektor befragt. Das Ergebnis: Die Konzerne halten sich zumeist nicht an die Standards der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. In den 2011 verabschiedeten Leitprinzipien ist festgeschrieben, dass Staaten darauf hinwirken sollen, dass alle Konzerne, die sich auf ihrem Gebiet befinden, die Menschenrechte einhalten. Besonders brisant ist, dass auch die zehn größten Energieversorger, die sich zum größten Teil in kommunaler Hand befinden, diese Leitprinzipien nicht einhalten. Das gilt in besonderem Maße für Großprojekte wie Staudämme und Windparks. Hier werden laut Studie besonders häufig Lebensgrundlagen lokaler Gemeinschaften zerstört und Proteste unterdrückt und kriminalisiert. »Die deutschen Unternehmen begehen oft nicht selbst die Menschenrechtsverletzungen, aber ihre Verantwortung reicht weiter. Sie müssen achtgeben, mit welchen Unternehmen sie Geschäfte machen und wie ihre Partner mit Menschenrechten umgehen. Da gibt es große Defizite«, kritisiert Armin Paasch von Misereor.
Ein Problem bestände darin, dass die deutsche Regierung, im Gegensatz etwa zu Frankreich, keine gesetzlichen Verpflichtungen beschlossen hat, um die Konzerne an die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht zu binden. In der Studie heißt es sogar, Deutschland wehre sich auf nationalstaatlicher und internationaler Ebene gegen rechtliche Verbindlichkeiten. Zudem werden mehrere Beispiele genannt, in denen deutsche Konzerne an Menschenrechtsverletzungen beteiligt waren.
- In Honduras wurden seit 2013 sechs Umweltaktivisten ermordet. Sie protestierten gegen das Wasserkraftprojekt Agua Zarca. Dieses wird von Siemens mit Turbinen, Generatoren und Steuerungsanlagen beliefert. Erst nach öffentlichem Druck zog sich Siemens aus dem Projekt zurück. Neben massiven Repressionen wurde das Projekt dafür kritisiert, der indigenen Bevölkerung die Lebensgrundlage zu entziehen.
- Der Stromversorger EnBW bezieht laut der Studie Kohle von dem kolumbianischen Unternehmen Drummond. Der Konzern hat über Jahre paramilitärische Organisationen unterstützt, die für den Tod von über 300 Menschen, vor allem gewerkschaftlicher aktive, verantwortlich sein sollen. Trotz der Vorwürfe hat EnBW die Zusammenarbeit bis heute nicht eingestellt.
- Den Energieversorger RWE kritisiert die Studie dafür, dass der Konzern als Europas größter Ermittent von Treibhausgasen mitverantortlich dafür sei, dass die Stadt Huaraz in Peru zu überfluten droht. Durch den Klimawandel droht ein Gletschersee überzulaufen. Potentiell Betroffene fordern von RWE, entsprechend seinem Anteil an der Verursachung des Klimawandels, für Schutzmaßnahmen an dem Gletschersee aufzukommen.
Weitere in der Studie angeführte Beispiele drehen sich um die Unternehmen DEG, Lahmeyer, Nordex, Andritz, Wintershall und die KfW-Bank. Die Studie ist online einsehbar.
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