Spielen, schimpfen, schubsen
In einem hitzigen Spiel erkämpft sich Mexiko beim Confed Cup ein 2:1 gegen unerschrockene Neuseeländer
Es gibt ja reichlich zu bemängeln am Milliardengeschäft Fußball: Gnadenlose Kommerzialisierung, maßlose Korruption, irrsinnige Spielergehälter, steuerflüchtige Superstars. Doch die Unvorhersehbarkeit des Geschehens auf dem Platz schafft es noch immer, die Fans bei der Stange zu halten - mit Leichtigkeit. So können selbst eigenartige Wettbewerbskreationen wie dieser Konföderationenpokal für großes Vergnügen sorgen.
Am Mittwoch beispielsweise geriet die Partie Mexiko gegen Neuseeland zu einem der unterhaltsamsten Spiele der Vorrunde, was niemand hatte ahnen können. Schon gar nicht die öffentlich-rechtlichen Fernsehmacher in Deutschland, die lieber den Auftritt der deutschen U21 bei der EM sendeten und die Übertragung der sechsten Partie des Confed Cups dem Spartensender Sport1 überlassen hatten.
Auch den Bewohnern und Besuchern Sotschis hatte sich der Reiz des Duells dieser beiden Erdteilmeister schwer erschließen können. Nur etwa 25 000 fanden sich am Mittwochabend auf den 41 000 Plätzen des Fisht-Olympiastadions ein, viele mit Freikarten für die oberen Ränge, doch noch weniger als jene 28 000, die sich zwei Tage zuvor für Deutschland gegen Australien hatten erwärmen können. Die, die gekommen waren, wurden bestens unterhalten: ein Außenseiter, der überraschend in Führung ging, ein Favoriten, der immer wütender zurückschlug und schließlich zweimal traf, danach noch ein Beinahe-Ausgleich und zum Schluss eine wüste Rangelei, zu der sich fast alle Spieler und Teamverantwortlichen auf dem Rasen einfanden.
Das zweite Spiel in einer Vorrundengruppe ist meist schon eine Art K.o.-Spiel, für die Neuseeländer nach ihrer Auftaktniederlage gegen Russland sowieso. Doch auch die Mexikaner wollten nach ihrem 2:2 gegen Portugal dringend gewinnen, bevor sie zu Spiel drei am Sonnabend nach Kasan fliegen. Gegen die Gastgeber im letzten Vorrundenspiel - diese Konstellation enthält eine Menge Unwägbarkeiten, die der Nord- und Mittelamerikameister so gering wie möglich halten wollte. Was ihre Sache am Mittwoch zusätzlich verkomplizierte, waren die eigenen Fans. Einige jener Gesellen, die am Nachmittag noch auf Sotschis Strandpromenade mit Sombrero und Poncho die Spaziergänger ergötzt hatten, neigen nämlich zur Schwulenfeindlichkeit. »Pu-to! Pu-to!« hatten sie im ersten Spiel Portugals Torwart Rui Patricio entgegengeschmettert, was sich als Adjektiv mit »Verdammt!«, als Substantiv allerdings mit »Prostituierter!« übersetzen lässt. Die FIFA, die bei diesem Turnier hart gegen Rassismus und Homophobie vorgehen will, neigt zur zweiten Variante und hat Mexikos Verband deswegen verwarnt. Harte Strafen drohen im Wiederholungsfall.
In Mexikos Anhängerschaft finden sich reichlich notorische Schwulenfeinde. Seit 2016 musste der Verband schon acht Mal Geldstrafen wegen homophober Schmähungen seiner Fans zahlen. Vor dem Spiel gegen Neuseeland hatten die Spieler ihre Anhänger deshalb um besondere Zurückhaltung gebeten. Zumindest im Fisht-Stadion folgten sie der Aufforderung. »México, México!« riefen sie züchtig.
Sie verhielten sich damit weit rühmlicher als Trainer Juan Carlos Osorio. Der Kolumbianer wetterte schon gegen Ende der ersten Halbzeit gen gegnerische Mannschaftsbank, weil die starken Neuseeländer, zu diesem Zeitpunkt durch Chris Woods 1:0 (42.) in Führung liegend, ihren Angriff zu Ende spielten, obwohl Mexikos Verteidiger Carlos Salcedo verletzt im Strafraum lag. Osorio war außer sich. »Motherfucker!« schrie er in Richtung Anthony Hudsons auf der neuseeländischen Bank. Osorios Assistenten hatte Mühe, ihren Chef zurückzuhalten.
Auch als in der 90. Minute gerangelt wurde, war Wüterich Osorio einer der ersten auf dem Platz. Der gambische Schiedsrichter Bakary Gassara, offensichtlich zurückhaltenden Gemütes, hatte keine Idee von einem adäquaten Umgang mit all den Hitzköpfen, die einander traten, schubsten und beleidigten. Gassara bemühte vielmehr die Videoschiedsrichter, und nach einigem Hin und Her handelte er halbherzig. Erst gab er eine Gelbe Karte gegen Hector Herrera, nach einem Signal über das Headset dann noch zwei weitere gegen dessen Teamkollegen Diego Reyes und Michael Boxall aus dem Kiwi-Team. Gassara war überfordert.
Und der Fußball? Die Neuseeländer überraschten in Halbzeit eins, als sie den Mexikanern überlegen waren: Schüsse aufs Tor, gewonnene Zweikämpfe, Treffer - in allem lagen die Männer um Kapitän Wood vorn, mal abgesehen vom Ballbesitz. Doch die schnellen Mexikaner wussten mit diesem Vorteil zumindest in Halbzeit eins wenig anzufangen. Trainer Osorio hatte das Team auf stattlichen acht Positionen umbesetzt und auf den Leverkusener Torjäger »Chicharito« Hernandez gleich ganz verzichtet.
Erst in Halbzeit zwei fand die neugemischte Elf ein Rezept gegen die bissigen Neuseeländer. Raul Jimenez traf neun Minuten nach Wiederanpfiff mit einem Schuss aus der Drehung zum Ausgleich, Oribe Peralta besorgte in der 72. Minute das 2:1 aus spitzem Winkel. Doch die Neuseeländer hielten weiter dagegen. Und hätte, ja hätte Ryan Thomas seinen Distanzschuss in der 84. Minute etwas niedriger angesetzt statt die Latte zu treffen, wäre am Mittwochabend die erste kleine Sensation des Turniers zu verzeichnen gewesen.
Stattdessen hakte Mexiko das Spiel als erledigt ab. Die Neuseeländer haben nun die traurige Gewissheit, dass sie ab Sonntag nicht mehr im Turnier dabei sein werden. Trainer Osorio entschuldigte sich später halbherzig für sein Fluchen, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass alle Schuld beim gegnerischen Trainerteam liege. Sein Gegenüber Hudson bewies hingegen Größe: Mexiko sei ein tolles Team und Osorio ein großartiger Trainer, befand der englische Coach der Neuseeländer. »Dass wir sie so sehr reizen konnten, spricht für meine Mannschaft. Wir können stolz sein.«
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