Sabotage, nicht Brandstiftung

Die Anschläge auf Bahnanlagen stehen in keinem direkten Verhältnis zu antikapitalistischen Zielen, meint Bernd Drücke

  • Bernd Drücke
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist erfreulich, dass bei den Kabelbränden, die Anfang der Woche bundesweit den Bahnverkehr beeinträchtigt haben, kein Mensch verletzt wurde. Auch wenn dafür Sorge getragen wurde, bleibt fraglich, ob die Gefährdung von Menschen ausgeschlossen werden kann und Brandanschläge überhaupt emanzipatorische Botschaften senden können.

»Das einzige Maß für die Krise des Kapitalismus ist der Grad der Organisierung der Kräfte, die ihn zerstören wollen«, heißt es in dem auf »linksunten.indymedia« veröffentlichten Bekennerbrief. Tragen die Brandanschläge auf Bahnstrecken zur Organisierung antikapitalistischer Bewegungen bei? Wirken sie politisierend, klären sie also über Macht- und Herrschaftsverhältnisse auf? Beides darf bezweifelt werden.

Anders als beim Lahmlegen des Bahnbetriebs durch Streiks der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer finden sich kaum Menschen, die die Anschläge sympathisch oder nachvollziehbar finden. Sogar das militante »Lower Class Magazine« (LCM) kritisierte die Kabelbrandanschläge als entgleiste Form von Militanz. »Jetzt kann man sagen (...): Interessiert uns ’nen Scheiß, weil die deutsche Bevölkerung besteht ohnehin nur aus Arschlöchern, die nichts verstehen.« Damit werde Militanz »eine Art nihilistischer Masturbation«. Man zündele fürs eigene Wohlbefinden, dem »Gros der Gesellschaft, das man hasst und verabscheut«, habe man nichts mehr mitzuteilen. Die »nihilistische Arroganz« gegenüber dem, was die Bevölkerung denke, sei kein Zeichen von Radikalität, sondern von Schwäche, so das LCM treffend. Brandanschläge sind nicht vermittelbar. Sie tragen dazu bei, dass der Begriff Sabotage in großen Teilen der Bevölkerung einen negativen Beigeschmack bekommen hat.

Doch es geht auch anders. Das vom französischen »sabot« (Holzschuh, der in die Maschine geworfen wurde) abgeleitete Wort kann ein Synonym für »Direkte Gewaltfreie Aktion« sein. Der US-Kriegsdienstverweigerer Daniel Berrigan und weitere Mitglieder der gewaltfreien Pflugscharbewegung drangen 1980 in eine Atomwaffenfabrik ein. Sie zerstörten Sprengkopfhülsen mit Hämmern und gossen ihr zuvor selbst abgezapftes Blut auf Werkzeichnungen und Werkzeuge. Diese Sabotageaktion erregte Aufsehen und inspirierte Graswurzelbewegungen in vielen Ländern der Welt.

Nach Beginn der Atomkatastrophe in Tschernobyl entstanden in der Bundesrepublik »Sägefisch-Gruppen«, die durch Sabotageaktionen einen Atomausstieg erzwingen wollten. Diese Anti-Atom-AktivistInnen sägten ab April 1986 in wenigen Monaten mehr als 100 Strommasten um, ohne dass Menschen dabei zu Schaden gekommen wären. Aufgrund des in der »Graswurzelrevolution« im Dezember 1986 unter der Überschrift »Wenn der Strommast fällt. Überlegungen zu Sabotage als direkte gewaltfreie Aktion« abgedruckten Artikels wurde damals ein Ermittlungsverfahren wegen »öffentlicher Aufforderung zu Straftaten« gegen die Zeitung eingeleitet. In dem inkriminierten Text hatte der Autor G. Waltfrei seine Erfahrungen beim Aufbau einer »Sägefisch«-Gruppe beschrieben: »Wir haben einen Hochspannungsmasten umgesägt. Ich verstehe diese Aktion als gewaltfrei und will von meiner Erfahrung ausgehend eine Einschätzung des Verhältnisses von persönlichem Risiko zum Nutzen geben.« Mit dem Artikel wolle er die Frage der »Perspektive von Sabotage« diskutieren, für eine Einbettung von Sabotageaktionen als Unterstützung von gewaltfrei-libertären Kampagnen Zivilen Ungehorsams plädieren. Nachdem bei einer Strommastsprengung 1988 eine Aktivistin schwer verletzt wurde, kam das bis dahin auch in weiten Teilen der Bevölkerung akzeptierte »Strommastfällen« zu recht aus der Mode.

Sabotage wurde früher und wird weiterhin geübt, ohne dabei Menschen zu gefährden. In Wackersdorf wollte die Atomlobby in den 1980ern die Wiederaufbereitungsanlage (WAA) bauen, nachdem der Bau zuvor im Wendland am massiven Widerstand der Bevölkerung gescheitert war. Auch in Wackersdorf war Sabotage an der Tagesordnung. Jedes neue Bohrloch wurde von aufgebrachten Bauern mit Gülle vollgekippt. Der Bauzaun wurde immer wieder demontiert und die Demonstrationen und Aktionen Zivilen Ungehorsams trieben nicht nur den politischen Preis des WAAhnsinns-projekts in die Höhe. Der Bau der Plutoniumfabrik wurde 1989 gestoppt, von der Atomindustrie begründet mit »gestiegenen Kosten«.

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