»Das Baby hat uns gerettet«

Ein gewaltiger Erdrutsch in China verschüttete ein ganzes Dorf - nur drei Überlebende

  • Andreas Landwehr, Peking
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Schreien eines Babys rettet seinen Eltern das Leben. Unmittelbar vor dem Erdrutsch am Samstagmorgen kurz vor sechs Uhr steht Xiao Yanchun auf, um ihrem erst 38 Tage alten Sohn die Windeln zu wechseln. Als sie danach wieder ins Bett gehen will, hören sie und ihr Mann »einen lauten Knall draußen, und das Licht ging aus«, wie der Vater Qiao Dashuai schildert. Die Erde bewegt sich. Plötzlich sieht das Paar Schlamm, Wasser und Steine ins Zimmer fließen. »Wir hatten das Gefühl, dass etwas Schlimmes passiert.« Die Eltern greifen den Säugling und rennen aus dem Haus - während das ganze Dorf hinter ihnen unter Geröllmassen verschwindet.

Die Rettung bleibt die einzig gute Nachricht, die chinesische Staatsmedien bis Sonntag von der Tragödie im Kreis Mao in der Provinz Sichuan berichten. »Wir waren bedeckt mit Erde«, sagt die 26-jährige Mutter im Kreiskrankenhaus. Sie seien über die Erdmassen geklettert. Ihr kleiner Sohn habe sogar Erde geschluckt, so dass sein Magen ausgepumpt werden musste. »Das Baby hat uns gerettet«, sagt der 26 Jahre alte Vater mit Kopfverband auf dem Krankenbett dem lokalen Fernsehen. In den Erdmassen verschüttet sind die zweijährige Tochter, die Großmutter, etliche andere Menschen.

Nach dem riesigen Erdrutsch in China hatten die Helfer am Sonntag kaum noch Hoffnung, Überlebende zu finden. 93 Dorfbewohner wurden am Sonntag noch unter den Geröllmassen vermisst. Zehn Tote waren bestätigt, wie die Nachrichtenagentur Xinhua berichtete. Mehr als 3000 Helfer suchten nach den Opfern. Nach tagelangen Regenfällen war der Berghang im Kreis Mao in der Provinz Sichuan in Südwestchina am Samstag mehr als tausend Meter in die Tiefe abgerutscht. Über die genaue Zahl der Vermissten herrschte Verwirrung, da 15 zunächst Vermisste zum Zeitpunkt des Unglücks doch nicht im Dorf gewesen seien. Auch wurde die Zahl der Toten von anfangs 15 auf 10 korrigiert, ohne dass ein Grund genannt wurde. Damit seien noch 93 vermisst, berichtete der Vizechef der Präfektur laut Xinhua. Ursprünglich waren 118 Verschüttete und 15 Tote genannt worden.

Staats- und Parteichef Xi Jinping rief zu größten Anstrengungen auf, um Überlebende zu finden. Papst Franziskus sprach den Opfern und ihren Familien beim Angelus-Gebet in Rom sein Beileid aus. Er bete für die Verstorbenen, die Verletzten und diejenigen, die ihr Zuhause verloren hätten. Auch UN-Generalsekretär António Guterres zeigte sich tief betroffen und sprach sein Beileid aus. Kremlchef Wladimir Putin kondolierte der chinesischen Führung in einem Telegramm.

»Mit voller Wucht« habe der Erdrutsch das Dorf Xinmo unter sich begraben, schilderten Geologen im Staatsfernsehen. Wo vorher 62 teils zweigeschossige Häuser standen, erstreckte sich eine hunderte Meter breite Geröllwüste. Der Fluss im Tal wurde über zwei Kilometer zugeschüttet, ebenso eine Straße auf 1,6 Kilometer.

Seit dem verheerenden Erdbeben 2008 in der Provinz seien die Berge in der Gegend nicht mehr so stabil wie früher, berichten Geologen. 87 000 Menschen waren damals ums Leben gekommen. Der Kreis Mao grenzt an den Kreis Wenchuan, Zentrum der früheren Katastrophe. Das Epizentrum lag nur 60 Kilometer vom jetzigen Unglücksort. »Die Ursache des Erdrutsches ist kompliziert«, erklärt Tian Yanshan, ein Experte des Landministeriums im Staatsfernsehen. »Schwere Regenfälle und eine instabile Struktur des Berges könnten dazu beigetragen haben.« Auch menschliche Aktivitäten wie Bergbau könnten ein Faktor sein.

Anfangs gibt es noch Lebenszeichen. Die Helfer können neun Stunden nach dem Erdrutsch über Handy eine Frau erreichen, die offenbar in ihrem Schlafzimmer verschüttet ist, wie lokale Medien berichten. Sie antwortet auf den Anruf, dann aber bricht die Verbindung ab. Als sie eine Stunde später ausgegraben wird, ist die Frau tot. Auch die Leiche ihres Ehemann wird gefunden. dpa/nd

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