Klettern gegen Castoren
Erster Atommülltransport auf dem Neckar - Robin Wood stoppt Transportschiff
Es war eine Premiere: Erstmals in Deutschland ist am Mittwoch hoch radioaktiver Atommüll auf einem Fluss transportiert worden. Ein Spezialschiff brachte drei mit abgebrannten Brennstäben beladene Castorbehälter vom AKW Obrigheim auf dem Neckar ins Zwischenlager beim Atomkraftwerk Neckarwestheim. Atomkraftgegner protestierten zunächst mit einer Mahnwache und einer Demonstration in Heilbronn. Nördlich der Stadt gelang es Aktivisten von Robin Wood am späten Vormittag, den Transport vorübergehend zu stoppen: Vier Aktivisten hatten sich mit einem großen Transparent von einer Brücke abgeseilt.
Der aus einem Transportschiff und einem Schubboot bestehende Transportverband war in der Nacht beladen worden und um kurz nach sechs in Obrigheim gestartet. Das Verwaltungsgericht Berlin hatte vergangene Woche grünes Licht für den Schiffstransport gegeben. Es wies einen Eilantrag der Gemeinde Neckarwestheim gegen die Transportgenehmigung des Bundesamts für kerntechnische Entsorgungssicherheit zurück.
Nach dem Ablegen fuhr der Schubverband zunächst neckarabwärts zur etwa zehn Kilometer entfernten Schleuse Guttenheim und wendete dort. »Riskante Experimente auf dem Wasser«, kritisierte die Umweltschutzorganisation Robin Wood per Twitter. Der Energiekonzern Energie Baden-Württemberg (EnBW), Betreiber der beiden Atomkraftwerke, hielt dagegen: »Das Manöver wurde beim Funktionstest Februar/März 2017 erprobt.« Der Konzern und das Landesumweltministerium halten die per Schiff für sicher. EnBW begründet den Transport damit, dass der Transport des Atommülls nach Neckarwestheim den Bau eines Zwischenlagers in Obrigheim überflüssig mache.
Nach Ansicht der Atomkraftgegner ist der Transport jedoch überflüssig. Die Castoren seien am Zielort noch schlechter untergebracht als in einem neuen Zwischenlager in Obrigheim. Das Zwischenlager in Neckarwestheim befinde sich in zwei Tunnelröhren in einem ehemaligen Steinbruch, so Julian Smaluhn von Robin Wood. Durch das Eindringen und Abpumpen von Grundwasser entstünden dort immer wieder Hohlräume, beim Einsturz eines Stollens könnten die Behälter beschädigt und radioaktive Strahlung freigesetzt werden.
Die Anti-Atom-Organisation ausgestrahlt warf EnBW vor, den Transport nur deshalb nötig zu machen, weil er »im Gegensatz zu anderen Betreibern von Atomkraftwerken kein Geld dafür ausgeben will, an jedem Standort ein ordentliches Castor-Lager zu bauen«. Die Fahrt auf der 50 Kilometer langen Strecke sollte etwa zwölf Stunden dauern. Die Polizei bewachte den Transport unter anderem mit Booten und einem Hubschrauber, an den Ufern patrouillierten Beamte auf Pferden und Mountain-Bikes. Zudem verfügte sie ein Bade- und Schwimmverbot sowie ein Überflugverbot von Drohnen für den betroffenen Flussabschnitt. Auch der Schiffsverkehr wurde gestoppt. »Wer Gegenstände ins Wasser wirft, begeht eine Ordnungswidrigkeit«, twitterten die Beamten - Aktivisten hatten zuvor angekündigt, die Castor-Flotte auch mit zu Wasser gelassenen Plastik- und Gummienten zu stören.
»Der riesige Aufwand der Polizei widerlegt alle Beteuerungen, das Schiff wäre ausreichend gegen Terror-Attacken gesichert«, schimpfte Jochen Stay von ausgestrahlt. »Wenn dem so wäre, dann würde es völlig ausreichen, ein paar Beamte abzustellen.« Der Transport auf dem Fluss sei »eine Verantwortungslosigkeit sondergleichen«.
Nicht verhindern konnte die Polizei die Kletteraktion von Robin Wood: Die vier abgeseilten Aktivisten spannten über dem Neckar ein Transparent mit der Aufschrift »Verhindern statt verschieben«. Weitere Mitglieder der Umweltorganisation demonstrierten am Ufer mit anderen Spruchbändern. Unter der Brücke patrouillierten Polizeiboote, auch auf der Brücke und am Ufer waren Sicherheitskräfte zu sehen. Spezialkräften gelang es schließlich, die Kletterer loszumachen. Beamte führten die Aktivisten ab, wenig später passierte der Castortransport die Brücke.
EnBW plant in den nächsten Wochen fünf Transporte mit je drei Castoren. Damit sollen insgesamt 342 ausgediente Brennelemente nach Neckarwestheim gebracht werden. Die örtlichen Bürgerinitiativen kündigten weitere Proteste an.
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