Jobs streichen statt Bahnen bauen
Bis zu 2200 Stellen sollen in den nächsten Jahren bei Bombardier wegfallen
Über Hennigsdorf hängt am Donnerstagmorgen Nebel, der sich nur langsam etwas lichtet. Auch die Zukunft der Schienenfahrzeugproduktion in der brandenburgischen Stadt bleibt nebulös, bis der kanadische Konzern Bombardier am Nachmittag immerhin verrät, dass in seiner Zugsparte deutschlandweit bis zu 2200 der 8500 Stellen abgebaut werden sollen. Die genaue Zahl hänge von der Auftragslage ab. Geschehen solle dies bis 2020 und ohne betriebsbedingte Kündigungen. Der Personalabbau verteile sich über alle sieben Standorte, mehrheitlich seien jedoch Hennigsdorf und außerdem Görlitz in Sachsen betroffen.
Doch der Reihe nach: Früh am Morgen, gegen 6.30 Uhr, trifft eine S-Bahn aus Berlin am Bahnhof Hennigsdorf ein. Einige Männer steigen aus und trotten müde zur Arbeit. Vor dem Haupteingang von Bombardier am Rathenaupark haben sich ein Kameramann und ein Fotograf postiert. Außerdem ist Grünen-Landeschefin Petra Budke vorgefahren, packt eine Fahne ihrer Partei aus und montiert sie. »Was ist denn hier für ein Theater?«, brummt ein Arbeiter missmutig. Was los ist? Das Management legt dem Aufsichtsrat in Hennigsdorf Eckpunkte für die Neuausrichtung des Konzerns in Deutschland vor. Einvernehmlich seien diese Eckpunkte beschlossen worden, erläutert der Aufsichtsratsvorsitzende Wolfgang Tölsner dann am Nachmittag. Es wird also erneut Personal abgebaut, wo doch Bombardier in der Bundesrepublik bereits im vergangenen Jahr 1430 Stellen gestrichen hatte. Die Zugsparte macht insgesamt zwar Gewinn. Doch die Bilanz in Deutschland war über Jahre negativ.
»Das heute vorgelegte Konzept zeigt Wege auf, wie technologische Kompetenz, ökonomische Leistungsfähigkeit und soziale Verantwortung in Einklang gebracht werden können«, meint IG-Metall-Bezirksleiter Oliver Höbel. Die Beschäftigten in Hennigsdorf machen sich seit Monaten große Sorgen. Denn Hennigsdorf sollte trotz voller Auftragsbücher die Serienproduktion 2019 nach Bautzen abgeben, künftig nur noch Prototypen und Testfahrzeuge fertigen.
Dabei sind die Züge in Berlin und im Umland prall mit Reisenden gefüllt. Da sollte doch eigentlich ein Schienenfahrzeughersteller direkt vor den Toren der Hauptstadt nicht geschröpft werden. Mit dieser Botschaft ist Budke am Donnerstag nach Hennigsdorf gekommen. Sie bemüht sich, ein auf grünes Papier gedrucktes Flugblatt an den Mann zu bringen, im Einzelfall auch an die Frau. »Vorfahrt für die Bahnproduktion«, steht groß oben drüber. »Steigende Fahrgastzahlen und überfüllte Züge - neue Bahnfahrzeuge werden dringend gebraucht und bei Bombardier in Hennigsdorf sollen bis zu 900 Arbeitsplätze wegfallen«, heißt es anklagend.
Es ist Bundestagswahlkampf und die Grünen präsentieren sich als Bahnpartei, die unter anderem die Fahrradmitnahme in allen Zügen fordert. Doch Budke hat kurz nach 7 Uhr morgens zunächst Schwierigkeiten, Abnehmer für ihr Flugblatt zu finden. Denn es gibt keinen Schichtbeginn zu einem festen Zeitpunkt, bei dem eine Masse von Arbeitern hereinströmen würde. Stattdessen wird in Gleitzeit gearbeitet, so dass am Werkstor im Moment nur wenig Betrieb herrscht. An der Pforte meldet sich erst einmal nur ein Monteur, der in einer leerstehenden Halle nach der Funktechnik schauen soll.
Doch dann bildet sich vor der Schranke sogar eine kleine Autoschlange, und Budke gelingt es, das eine oder andere Flugblatt durch geöffnete Seitenscheiben hereinzureichen. Außerdem fährt nun ein Taxi nach dem anderen vor, zu Fuß treffen zwei Herren mit Rollkoffern ein. Der Aufsichtsrat scheint sich zu sammeln. Budke erklärt gebetsmühlenartig, dass die Grünen den Standort erhalten möchten. »Das wollen wir auch«, versichert Bombardier-Sprecher Andreas Dienemann, der kurz vors Tor gekommen ist.
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) spricht am frühen Abend von einem Teilerfolg, weil es gelungen sei, Kleinserien in Hennigsdorf zu halten, leider jedoch nicht die Großserien. »Das ist bitter.«
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