G20-Gipfel: LINKE fordert Rücktritt von Innensenator Grote
Aktivisten ziehen vor das Oberverwaltungsgericht / Campbetrieb in Entenwerder geht weiter / Aufruf zur wilden Stadtbesetzung
Der Streit um das Protestcamp in Entenwerder läuft weiter auch Hochtouren. Nachdem die Polizei das Zeltlager in der Nacht gestürmt hatte, bestätigte das Verwaltungsgericht am Montagmittag in einer Eilentscheidung die Perspektive der Versammlungsbehörde. Die Richter reagierten damit auf eine neue Gefahrenprognose der Polizei. Ihre bisher geltende Entscheidung, wonach Schlafzelte auf dem Camp erlaubt sind, wurde damit angepasst.
In seiner Erklärung bewertete das Verwaltungsgericht das aktuell geltende Verbot von Schlafzelten, Duschen und Küchen seitens der Behörden nun als »rechtmäßig« und »verhältnismäßig«. Es würde sich dabei nicht um eine »notwendige versammlungsimmanente Infrastruktur« handeln. Auch die räumliche Beschränkung auf einen Teilbereich des Parks sei gerechtfertigt, »um nachhaltige Schäden zu verhindern«.
In Entenwerder geht der Campbetrieb derweil weiter. Große Zelte für Workshops sind bereits aufgebaut, es gibt Toiletten und eine kleine Küche. Fanny ist müde von der Nacht, aber froh, dass es jetzt endlich losgeht. »Das Camp ist ab jetzt für alle geöffnet«, sagt die Aktivistin, die eigens für die G20-Proteste aus Bordeaux angereist ist. »Wir fangen jetzt mit den Workshops und unserem Programm an. Alle sind eingeladen, nach Entenwerder zu kommen.« Auch über Nacht? »Ja, auch über Nacht. Mehr sage ich dazu nicht. Aber für ruhigen Schlaf gibt es keine Garantie«, lacht Fanny. Sie selbst hat in der vergangenen Nacht einige Stunden Schlaf bekommen, auch ohne das Zelt, das die Polizei mitnahm.
Weniger gut gelaunt ist Simon, der die Toiletten für das Camp gebaut hat. Der nächtliche Polizeieinsatz hat ihm sichtlich zugesetzt. »Die Polizei hat gestern Abend die Zufahrt zum Camp geöffnet und wir haben uns sehr gefreut«, berichtet der Zimmerer. »Wir haben angefangen, unsere Zelte aufzubauen, und auch die kleinen Zelte von der Mahnwache waren dabei. Und plötzlich herrschte der totale Ausnahmezustand, die Cops rannten auf das Camp, haben die Leute weggetackelt, ihnen Pfeffer direkt in die Augen gesprüht. Es gab viele Verletzte.« Auch Journalisten wurden geschlagen, wie »nd« in einer Recherche aufzeigt
Der Aktivist versteht nicht, wie es dazu kommen konnte. Das Gericht habe das Camp am Sonntag doch erlaubt, und trotzdem habe die Polizei alles blockiert. Dann öffnete sie das Camp - um es anschließend zu stürmen. Simon schüttelt den Kopf. »Du kannst dir nicht vorstellen, was das für eine Wut in einem auslöst! Man hat keine Chance gegen die Robocops. Man sieht, das hier ist keine Demokratie, das ist ein dreckiger Polizeistaat. Da geht einem die Pumpe!«
Wie es mit dem Camp in der Nacht weitergeht, wird weiter beraten. Rechtsanwalt Martin Klingner will gegen die Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts Widerspruch vor dem Oberverwaltungsgericht einlegen.
LINKE fordert Innensenator zum Rücktritt auf
Unterstützung erhalten die Aktivisten von der Linksfraktion. Diese forderte auf einer Pressekonferenz am Montagnachmittag Innensenator Andy Grote (SPD) auf, zurückzutreten. Der Polizeieinsatz am gestrigen Abend sei rechtswidrig gewesen. »Mit Grote ist kein Rechtsstaat möglich«, so die Fraktion. Die Polizei habe unter der Verantwortung des Innensenators »die Gewalteinteilung für ungefähr 32 Stunden faktisch suspendiert«, sagte die Co-Vorsitzende Cansu Özdemir. Die Polizei hätte sich an das Urteil des Verwaltungsgerichts halten müssen und setzte sich eigenständig darüber hinweg. Aus dem von Grote angekündigten »Festival der Demokratie« sei ein »Festival der Repression« geworden.
Die Co-Vorsitzende Sabine Boeddinghaus schilderte den Polizeieinsatz als »brutal«: »Mehrere Menschen wurden verletzt. Die Polizisten sind wahllos in die Gruppen rein gerannt und Pfefferspray gesprüht, direkt in die Gesichter.« Sie hätten zudem den Lautsprecherwagen gestürmt und darin einen jungen Mann mit Pfeffer angegriffen: »Er bekam daraufhin keine Luft mehr und kollabierte. Schwer verletzt lag er lange auf der Wiese, bis man einen Sanitäter finden konnte.« Der Innensenator habe die Polizei schalten und walten lassen, wie sie wolle. Er sei nicht vor Ort gewesen, um Verantwortung zu übernehmen.
Emily Laquer von der linksradikalen »Interventionistischen Linken« kritisierte in sozialen Netzwerken ebenfalls: »In Hamburg hat die Polizei die Macht übernommen. Kommt alle her- Wir brauchen euch jetzt!«
Sahra Wagenknecht, die Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, äußerte sich in sozialen Netzwerken empört über das Vorgehen der Regierungsparteien: »Statt Bürgerrechte zu verteidigen, dulden SPD und GRÜNE in Hamburg einen rechtswidrigen Polizeieinsatz gegen ein genehmigtes Camp.«
Die Hamburger Polizei weist die Kritik an ihrem nächtlichen Einsatz jedoch zurück. Sprecher Timo Zill erklärte am Montagnachmittag in einem Video, dass man Übernachtungen auf den Camps nicht dulde, da es in der Vergangenheit bei ähnlichen Protestveranstaltungen zu schweren Ausschreitungen gekommen war. »Militanten Linksextremisten« wolle die Polizei »keine Rückzugsfläche, keine Mobilisierungsfläche« bieten. Zill führte weiter aus: »Aus Sicherheitsgründen - auch zum Schutz der Bevölkerung - werden wir diese Camps nicht zulassen.«
Auf der linken Internetplattform »Linksunten Indymedia« kündigten »wütende Gruppen des Widerstands gegen den G20« derweil an, Tatsachen schaffen zu wollen: Sollte bis Dienstagvormittag, zehn Uhr, das Camp mit Schlafplatzen nicht zur Verfügung stehen, werde man »massenhaft und spektrenübergreifend Parks, Plätze, Flächen und Knotenpunkte der Stadt besetzen«. In Leipzig meldeten Aktivisten zudem eine Demonstration unter dem Motto »Unsere Solidarität gegen eure Repression« an. Diese soll um 18 Uhr im Herderpark starten.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.