Zum Glück spielen Deutsche kein Cricket

Die Titel beim Confed Cup und der U21-Europameisterschaft beflügeln die Fantasie der Fußballenthusiasten

War doch schon wieder WM? Am Sonntagabend in St. Petersburg hätte man durchaus diesen Eindruck gewinnen können. In feinstem Gazprom-Blau strahlte die neue Zenit-Arena auf der Krestowskij-Insel, auf dem konfettiübersäten Rasen zogen Julian Draxler, Joshua Kimmich und Co. mit dem Konföderationenpokal von Stadionecke zu Stadionecke. 1:0 hatten sie Südamerikameister Chile im Finale bezwungen und dem DFB einen noch nie errungenen Titel beschert: Meister der Kontinentalmeister, ein guter Grund zum Feiern.

Ringsumher knallte und donnerte es - der Abschluss des Turniers. Nur aus der modernen Blechdose namens Stadion sah man nichts davon: Das Dach der neuen Arena ist fast vollständig geschlossen. Stattdessen liefen auf den Bigscreens die Bilder des gigantischen Pyrospektakels, das auf der futuristisch konstruierten Brücke gezündet wurde, die das Stadion auf der Insel am Finnischen Meerbusen in kühnem Bogen umrundet. Es war ein Feuerwerk von olympischen Dimensionen. Gastgeber Russland zeigte noch einmal Muskeln: Schon bei der WM-Generalprobe wird geklotzt und nicht gekleckert.

Ähnliches kann man auch von der deutschen B-Elf bei diesem Turnier behaupten. Das jüngste Team des Confed Cups 2017 sicherte sich den Pokal in einem mitreißenden Endspiel gegen die älteste Mannschaft des Turniers. Und das mit einer kämpferischen Leistung, die Joachim Löw später in höchsten Tönen loben sollte: »Das war ein magisches Spiel für uns und unsere jungen Spieler«, schwärmte der Bundestrainer und verwies mit Stolz darauf, dass hier gerade eine Mannschaft gewonnen habe, die »es erst seit dreieinhalb Wochen gibt«. »Wie sehr wir diesen Sieg wollten, war sehr, sehr imponierend.«

Und wie meist in seinen Spieleinschätzungen lag Löw auch damit richtig. Selten hat man eine so unbedarfte Mannschaft so freudvoll und erbarmungslos erfolgreich ein Turnier spielen sehen wie diese DFB-Elf. 3:2 gegen Australien, der Anfang. 2:2 gegen Chile, ein Achtungserfolg. 3:1 gegen Kamerun, der Gruppensieg. 4:1 gegen Mexiko, der Halbfinalrausch. Es war ein Turnier wie aus dem Bilderbuch, dass auch dem Bundestrainer sichtbar Spaß gemacht hatte.

Auch schwierige Phasen haben die deutschen Fußballer gut überstanden. Wie im Endspiel von St. Petersburg: Die Südamerikaner zogen von Beginn an ihr gefürchtetes Pressingspiel auf, bei dem sie mit immenser Laufarbeit großen Druck erzeugen. »Wir lieben es, den Gegnern unser Spiel aufzuzwingen und sie damit nervös zu machen«, beschrieb es Chiles Trainer Juan Antonio Pizzi später. Die DFB-B-Elf war sichtbar beeindruckt, wie schnell die hart aufspielenden Chilenen stets zur Stelle waren. Sobald Jonas Hector oder Joshua Kimmich auf den Außenbahnen den Ball bekamen, sahen sie sich von zwei, drei Roten umgeben. In Ruhe das eigene Angriffspiel aufziehen, gelang anfangs kaum. Die 57 000 Zuschauer, die beinahe komplett Chile die Daumen drückten, waren erfreut.

Schon in der Spieleröffnung gab es Ballverluste oder riskante Rückpässe zum Torwart, was Marc-André ter Stegen zu einem der Hauptdarsteller der ersten Halbzeit machte. Schon lange hat man nicht mehr so viele lange Abschläge einer DFB-Elf gesehen. 61 Prozent Chile, 39 Deutschland, so lautete nach 90 Minuten die Ballbesitzquote. Überraschend: Löws Team spielte fast durchgehend auf Konter. Erstaunlich: Auch diese Taktik beherrschte die deutsche B-Elf.

Hilfreich war dabei sicher, dass bereits nach 20 Minuten der entscheidende Treffer gelang - in einer Phase, in der Arturo Vidal und Kollegen klar überlegen schienen. »Der Bruch«, so nannte Pizzi die Szene später. Marcelo Diaz verlor den Ball an der Strafraumgrenze an den Leipziger Timo Werner, der sofort den mitgelaufenen Lars Stindl bediente, statt selbst seinen vierten Turniertreffer zu erzielen. Stindl schob den Ball ins leere Tor. Kurzer Jubel, weiterspielen.

Was folgte, waren reichlich Chancen für beide Mannschaften, immer wütendere Angriffe der Chilenen und am Ende schließlich goldener Konfettiregen und eine Siegerehrung mit so illustren Gestalten wie FIFA-Boss Gianni Infantino, Russlands stellvertretendem Ministerpräsidenten Witali Mutko, DFB-Boss Reinhard Grindel sowie den Fußballlegenden Ronaldo und Diego Armando Maradona. Sie alle waren zugegen bei einem womöglich historischen Sieg der Deutschen. Denn der Wettbewerb wird zumindest in vier Jahren in Katar nicht ausgetragen werden können. Nicht wenige erwarten, dass die FIFA ihn sanft entschlummern lassen wird.

Was blieb sonst noch zu sagen über dieses Finale? Vielleicht, dass auch in diesem Spiel der Videobeweis nicht ausblieb. Er zeigte aber vor allem, wie so oft beim Confed Cup, die Fehlbarkeit der Referees. Denn Milorad Mazic aus Serbien gab Gonzalo Jara trotz eines üblen Ellenbogenschlags in Timo Werners Gesicht nur Gelb statt Rot. Ansonsten gab’s an dem Abend reichlich Trophäen. Timo Werner bekam vom brasilianischen Ronaldo den Goldenen Schuh als bester Torjäger überreicht - eine perfekte Belohnung für den Spieler, der ebenso selbstlos wie torhungrig agiert. Julian Draxler wurde von Maradona als bester Spieler des Turniers geehrt, was trotz dessen guter Leistungen eine überraschende Entscheidung war, aber ziemlich typisch für die Logik der FIFA-Entscheidungen bei solchen Wettbewerben ist.

Noch in der Nacht fingen die Experten aus aller Welt an zu schaudern: Wer soll diese deutschen Fußballer in den nächsten Jahren in den Griff bekommen? Schließlich hatte der DFB am Freitag auch den Europameistertitel mit der U21 gewonnen. Wie erreichen die Deutschen eine solche Tiefe im Kader, dass es ausreicht, um bei so einem Spitzenturnier zu triumphieren? Joachim Löw beeilte sich am Sonntag zu versichern, die Deutschen würden nun nicht auf Jahre hinaus unschlagbar sein, wie es 1990 einst Franz Beckenbauer nach dem WM-Sieg mit Aussicht auf Zuwachs aus der DDR formuliert hatte: »Wir haben sicher Spieler, denen diese beiden Turniere viel Selbstbewusstsein geben, aber für diese Spieler fängt die Arbeit jetzt erst an, die wichtigen Turniere folgen noch.«

Auf Twitter wurden dennoch emsig Listen weitergeleitet, in denen aufgeführt war, wer denn alles nicht dabei war bei den Siegen der Deutschen. Den neuen U21-Europameistern fehlten zehn ihrer besten Spieler, etliche waren in Russland im Einsatz. In Sachen Confed Cup-Elf wiederum waren all die großen Namen verzeichnet, die nicht dabei waren: von Neuer bis Özil, von Kroos bis Khedira. Für die notorisch titellosen Fußballerfinder aus England fasste Ex-Stürmer Gary Lineker das Entsetzen über die Deutschen in einem Tweet zusammen: »Sie sind aber Scheiße beim Cricket!«

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