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Brennende Autos beim G20: Nationalfetisch Auto

Wenn die Polizei in Hamburg die Regierungsgeschäfte führt, kann man ihr die Stadt auch ganz überlassen, meint Leo Fischer

Es gibt für Deutsche keine schlimmere Kränkung, als wenn man ihre Autos angreift. In den Kommentaren zu den G20-Protesten jedenfalls werden »brennende Autos« regelmäßig vor zertrümmerten Ladenfenstern und verletzten Personen erwähnt; letztere sind ersetzbar, aber der Nationalfetisch Auto ist mehr noch als Hymne und Flagge unabdingbar – als ein symbolisches Zentrum kleinbürgerlicher Aufstiegsideologie. Wer Autos anzündet, stellt exakt die Lebensentwürfe in Frage, in denen der Besitz des Autos eins ist mit Erfolg, Dazugehören und Glück im Winkel; eben deshalb gelten solche Angriffe fast schlimmer als versuchter Mord.

Deswegen ist die öffentliche Meinung, wie sie sich in Leserkommentaren derzeit darstellt, auch ganz überwiegend auf Seiten der Autoschützer von der Hamburger Polizei, über deren Exzesse man großzügig hinwegsieht. Dabei wären auch bürgerlichen Kreise gehalten, sich zu fürchten vor einer Polizei, deren Strategie es offenkundig war, die »Welcome to Hell«-Demo von Anfang an aufzumischen; zu fürchten vor Sicherheitskräften, die sich vor ihrer Prügelorgie gegenseitig »viel Spaß« wünschen; zu fürchten vor einer Polizei, die Presse und Abgeordnete zusammen mit friedlichen Demonstranten und Gewalttätern in den Staub der Straße tritt; zu fürchten vor einer Polizei, deren Berliner Einheiten nur deshalb wieder nach Hause geschickt wurden, weil sie das amüsante Gewaltspektakel gar zu offenkundig als solches gefeiert hatten.

Freilich, in militärische Rüstungen verpackt und mit den jeweils neuesten Innovationen der deutschen Sicherheitsindustrie ausgestattet, sind solche Auseinandersetzungen für die Beamten nicht sehr weit entfernt von Paintballturnieren – während bei Demonstranten ein Regenschirm als »Passivbewaffnung« gilt.

Schon die Bilder vom Freitag zeigen, wie versucht wurde, mit dem Wasserwerfer Menschen auf Hausdächern anzugreifen, wie Einzelpersonen ins Fadenkreuz genommen werden; Verstümmelung und Tod der Angegriffenen offenbar in Kauf nehmend. Es ist bekannt, dass sich Teile solcher Einsatzkräfte in geheimen Onlineforen mit ihrer Gewaltbereitschaft brüsten; ebenso, dass bayerische Spezialtruppen regelmäßig im ganzen Bundesgebiet eingesetzt werden, wenn man es den Muckern mal so richtig besorgen will.

Für den deutschen Kleinbürger ist all dies kein zu hoher Preis für den intakten Kleinwagen. »Ja, dann soll er halt nicht auf dem Dach stehen« – so klingen seine hämischen Kommentare für Menschen, die nicht schon qua Karriere- und Ratenplan auf ihr grundgesetzliches Versammlungsrecht verzichtet haben. Der Kleinbürger stellt sich auf Seiten der Gewalt, identifiziert sich mit den Angreifern, als würde ihn selbst das im Zweifel je vor solchen Maßnahmen schützen.

Er nimmt billigend die zynischen Kommentare des Hamburger Pressesprechers zur Kenntnis, der das massenhafte Durchsuchen von Handys mit einem Verweis auf den Beschwerdeweg kontert. Dessen regelmäßige Konsequenz ist im für die Demonstrierenden besten Fall, dass ungesetzliche Maßnahmen nach drei Jahren auch als solche erkannt werden, nach zahllosen Instanzen und horrenden Prozesskosten. Für illegal handelnde Polizisten bedeutet ein solches Urteil im für sie schlimmsten Fall, dass sich die Beförderung ein wenig verzögert.

Die neuere Polizeigesetzgebung, die schon Schubsen mit Haft bedroht, hat sicher dafür gesorgt, dass auch symbolischer Widerstand gegen Zwangsmaßnahmen gut vorbereitete Gegenanzeigen nach sich zieht, denen im Zweifel kein Richter widersprechen wird.

In der vorgeblich weltoffenen Hansestadt herrscht dieser Tage die Offenheit eines Friedhofs. Das beredte Schweigen von SPD und Grünen, die maßlose Polizeigewalt in der Türkei wortreich verdammen, ist Ausweis ihrer Ohnmacht. Ihre Innenpolitiker haben sich darauf zurückgezogen, nachträglich das Verhalten der Polizei zu deuten, Argumente für Willkür zu liefern. Dann aber haben der Staat und seine demokratisch gewählten Vertreter gar nicht mehr das Gewaltmonopol, sondern sitzen der Polizei nur symbolisch vor; als eine Art Frühstücksdirektor, den man sich aus Gründen des Zeremoniells erhält.

Bei besonders schlimmen Exzessen kann der Innenminister zurücktreten, um die symbolische Ordnung wiederherzustellen. Kurz und schlecht: Wenn in Hamburg de facto ohnehin die Polizei die Regierungsgeschäfte führt, dann kann man ihr die Stadt auch ganz überlassen. »Polizeistadt Hamburg«, das hat sogar einen guten Klang. Die Sicherheit der Autos wäre jedenfalls garantiert.

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