Wilde Jagd in den Bergen

Die Tourplaner können sich beglückwünschen. Die Einführung von frühen Bergetappen belebt das Rennen

  • Tom Mustroph, Chambéry
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Planche des Belles Filles am Mittwoch sah schon einen entfesselten Fabio Aru die 20-prozentige steile Rampe nach oben stürmen - und Chris Froome an einem seiner Lieblingsberge ins Hintertreffen geraten. Am Sonnabend, auf dem Weg zur nächsten Skistation, der Station des Rousses, hatte das Team Sky erneut wenig zu lachen. Eine Gruppe von gleich 50 Mann setzte sich ab. »Jedes Team wollte jemanden drin haben. Es war total chaotisch«, sagte Quicksteps sportlicher Leiter Brian Holm zu »nd«.

Weil niemand in den Mannschaftswagen so richtig wusste, wer alles vorn drin war, schickte auch Sky drei Leute nach vorn. Eine ungewohnte Taktik, die Sky-Fahrer Christian Knees gegenüber »nd« aber so verteidigte: »Es ist immer besser, wenn du Leute vorn hast. Die können sich dann zurückfallen lassen und dem Kapitän helfen. Ich habe das dann ja so gemacht«, sagte der Bonner.

Sky schien die Berge an diesem Tag also zu fürchten. »Ich verstehe sie nicht ganz. Wir würden, wenn wir Gelb hätten, immer bei unserem Leader bleiben. Was machen sie, wenn der stürzt, und es sind nur noch drei Mann bei ihm?«, stellte Brian Holm allerdings diese Taktik infrage. Für Adrenalinstöße bei Sky sorgte dann auch ein Sturz des Gesamtzweiten Geraint Thomas. Der Waliser hatte sich bei einer Kurve verkalkuliert. Er konnte aber erst mal weiterfahren.

Weil in der großen Ausreißergruppe mit dem Ravensburger Emanuel Buchmann und dem Belgier Serge Pauwels aber zwei Männer vorn dabei waren, die weniger als zwei Minuten Rückstand auf Froome hatten und in den Bergen durchaus zu beachten sind, entschloss sich der britische Rennstall, der großen Ausreißergruppe nicht zu viel Vorsprung zu lassen. »Das war schade, ich hatte gehofft, dass wir vorn bleiben und ich etwas Zeit im Klassement hätte gut machen können«, meinte Buchmann im Ziel. Dass er zwischendurch sogar im virtuellen Gelben Trikot gesteckt hatte, beeindruckte den Kletterer nicht sonderlich. »Daran denkt man bei so einer schweren Etappe kaum. Was zählt, ist ja auch nur das Klassement am Ende des Tages«, bemerkte er trocken. Den Etappensieg holte sich in einem dramatischen Kampf gegen die Krämpfe im eigenen Körper der junge Franzose Lilian Calmejane.

Am Sonntag setzten sich die Herausforderungen für Sky fort. Bei dieser Etappe, von vielen Fahrern und sportlichen Leitern als »die schwerste dieser Tour« bezeichnet, entfesselte das Team Ag2R auf der Abfahrt zwischen den beiden Bergen der höchsten Kategorie Col de la Biche und Grand Colombier eine wilde Jagd ins Tal. Das Hauptfeld zerfiel in viele Gruppen. Und Sky verlor den Gesamtzweiten Thomas nach einem Sturz mit Folgen: Schlüsselbeinbruch. Mit Richie Porte musste auch der Gesamtfünfte aufgeben. Bora-Kapitän Rafal Majka stürzte ebenfalls. Der Pole, der das Podium als Ziel hatte, konnte zwar weiterfahren, muss alle Klassementsambitionen aber aufgeben. Besser schlug sich erneut sein nomineller Helfer Buchmann. Auch nach dem schweren Vortag in der Fluchtgruppe hielt er lange in der Favoritengruppe mit.

Dort holte in der Auffahrt zum Grand Colombier erneut das Team Ag2r den Hammer heraus, dieses Mal den Kletterhammer. Viele Anwärter auf das Podium bei der Tour verloren Begleiter. Der Kolumbianer Nairo Quintana war völlig isoliert und musste später nach Defekt allein im Windschatten der Materialwagen nach vorn fahren. Der Australier Richie Porte hatte zur Halbzeit der Etappe nur noch einen Helfer. Auch nur zwei Astanaprofis, die beiden Co-Kapitäne Aru und Jakob Fuglsang, waren vorn. Für Ag2R’s Mann fürs Gesamtklassement, den letztjährigen Tourzweiten Romain Bardet, hatte sich die monumentale Leistung seines Teams also ausgezahlt. Bardet hatte zudem in der Fluchtgruppe noch zwei Leute vorn. Ein taktisches Lehrstück, und über weite Strecken der Etappe mit der entsprechenden Power in den Beinen umgesetzt.

Im Flachstück zwischen dem Grand Colombier und dem letzten Berg des Tages, dem Mont du Chat, übernahm in einem komplett erschöpften und geschrumpften Hauptfeld Team Sky dann wieder eine Art Zwischenkontrolle. Drei Helfer hatte Froome noch bei sich. Sie legten aber kein Tempo vor, das die Rivalen fürchten ließ.

Auf die Spitze machte das Peloton dennoch Zeit gut. Denn dort ereigneten sich taktische Spiele. Manche Ausreißer wurden zurückgerufen, um ihren Kapitänen zur Seite zu stehen. Team Sunweb glückte hingegen der Coup, erst Kapitän Michael Matthews und dann auch Helfer Simon Geschke von den Verfolgergruppen ganz nach vorn zu bringen. Dort holte sich Matthews Sprintpunkte; der Australier ist auf das Grüne Trikot scharf, auf das nach dem Ausschluss Peter Sagans gleich ein halbes Dutzend Sprinter ein Auge geworfen hat.

Mit ihren zahlreichen Scharmützeln - darunter ein Angriff Arus auf Froome, nachdem dieser einen technischen Defekt angezeigt hatte, geht diese neunte Etappe der diesjährigen Frankreichrundfahrt als eine der abwechslungsreichsten in die Tourgeschichte ein. Im Ziel in Chambéry konnte sich schließlich Rigoberto Uran über den Sieg freuen, Froome verteidigte als Dritter das Gelbe Trikot.

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