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Schwimmen und erinnern: Die Kathedrale von Dessau
Eine sehr persönliche Reise in die Bauhausstadt und deren Bädern
Ich treibe im lauwarmen Wasser. Sphärische Töne tupfen Behaglichkeit. Zwischen dunkelblau gekachelten und leicht nach innen geneigten Wänden liege ich in einem geräumigen Tauchbecken. Wie in einer Höhle. Ich schließe die Augen.
Vor 15 Jahren hat sich mein leiblicher Vater in dieser Stadt das Leben genommen. Für 30 Jahre war mir mein Vater abhandengekommen; wir hatten bis zur Scheidung meiner Eltern drei frühe Jahre, an die ich mich nicht erinnere – und acht späte Jahre, die sehr intensiv waren, bis zum Dezember 2009. Er war gerade von einer Krankheit genesen und zu seiner Liebsten gezogen, als er ein Seil um seinen Hals legte und von einer Brücke sprang. Ich lernte mit Dessau die Stadt kennen, die mir den Anblick meines toten Vaters verweigern wollte, erlebte mürrische Menschen in Bank, Amt und Bestattungsinstitut. Ich setzte mich durch und nahm Abschied, legte in Magdeburg Blumen auf den Schnee, wo seine Asche ruht. Der Dezember bleibt schwierig für mich.
Anne Hahn ist Autorin von Romanen und Sachbüchern und schwimmt für »nd« durch die Gewässer der Welt.
Im November 2024 komme ich wieder nach Dessau, passiere vom Bahnhof aus Wohnhausfluchten, Theater, Gericht, Gefängnis und Stadtpark. Ich biege in die Askanische Straße und trete neben der Konditorei Mrosek unter den geschwungenen Schriftzug »Stadt-Schwimm-Halle«. Darunter baden sandsteinerne Kinder beidseits des Dessauer Stadtwappens in einem Fluss, vielleicht zeigt eine Darstellung des 1907 zeitgleich mit dem heutigen Gesundheitsbad gegründeten Flussbads am Rehsumpf? Den Durchgang flankieren Jugendstilkacheln; der Hof öffnet den Blick auf das historische Bad, eine Halle und einen zweistöckigen Palast mit Balustrade und staunenden Wassergeister-Gesichtern. Zwei Meerjungfrauen halten eine Muschel über das Hofpflaster, eine geschwungene Treppe führt zur Schwimmhalle hinauf, ein Pfeil zeigt zur Sauna. Drinnen geht es noch tiefer, auch im alten Gemäuer ist alles schick saniert.
Saunawart Julien empfängt mich herzlich. Wir sind sieben Gäste, zur vollen Stunde gibt es den Minze-Aufguss. Julien wedelt mild, ich bleibe 20 Minuten. Ein Eisbärkopf mit blauer Zunge schaut aus einer Mosaikwand. Linkerhand der zentral platzierten Kaltdusche kann man die Füße in Bottichen kühlen, dahinter ins Tauchbecken steigen. Rechterhand sind Liegen in einem Raum platziert, der Fenster hoch in die Schwimmhalle öffnet. Kinderbeine strampeln vorbei. In der Bar läuft eine Doku über Goldgräber in Australien. Julien, der auch die Bar schmeißt, rät mir vom Getränk ab, lieber noch ein Saunagang, und dann ausschließlich klares Wasser trinken! Als er hört, dass ich gern die Schwimmhalle sehen würde, die an Mittwochnachmittagen nur Kursen zugänglich ist, weiß er Rat. Aber erst mal ins Tauchbecken. Julien meint, das Wasser erwärme sich in den Rohren, die durch die alten Mauern laufen. Ich kühle behutsam ab und frage mich versöhnt, ob mein Vater jemals hier war.
Als ich vom Oberrang der Schwimmhalle an Palmen vorbei zum Becken mit seinen Wellnesspools luge, sehe ich Kinder ins Wasser hopsen und einen Schwimmlehrer, der mir zulächelt. Ich winke strahlend und etwas einfältig in die Halle – und hinauf in den dunklen Novemberhimmel darüber.
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