Wenn der Pizza-Hunger kommt: 110
Thüringen: Strafanzeigen wegen Missbrauchs von Notrufen nehmen deutlich zu
Erfurt. Strafanzeigen wegen Missbrauchs von Notrufen haben in Thüringen in den vergangenen Jahren kontinuierlich zugenommen. Während 2008 noch 302 Missbrauchsfälle angezeigt wurden, waren es 2016 schon 414, erklärte Jens Heidenfeldt von der Landespolizeidirektion in Erfurt. Im Schnitt lag die Aufklärungsquote bei 75 Prozent. Nicht berücksichtigt sind in diesen Zahlen viele missbräuchliche Anrufe von Menschen, die wegen Schuldunfähigkeit nicht angezeigt werden können. In Thüringen gibt es laut Polizei etwas mehr als ein Dutzend solcher Personen, deren Anrufe nicht in der Statistik auftauchen.
Insgesamt gehen laut Polizei pro Jahr im Schnitt rund 240 000 Notrufe ein. Etwa ein Drittel davon sei polizeilich nicht relevant - zum Beispiel, wenn jemand in Notsituation die Nummer der Polizei statt der Feuerwehr wähle, sagte Heidenfeldt. Häufig komme es auch vor, dass Smartphones ohne Wissen des Nutzers eine Verbindung herstellten, weil die Tastensperre nicht aktiviert wurde: Eine Beobachtung, die auch die Feuerwehr in Erfurt oder die Rettungsleitstelle im Wartburgkreis bestätigen. Die Zahl der Notrufe über die Nummer 112 habe in den vergangenen Jahren merklich zugenommen, heißt es. Damit sei auch die Zahl der versehentlichen oder absichtlichen Fehlanrufe gestiegen. Generell werde aber die Polizei-Hotline 110 öfter missbräuchlich gewählt als die 112 der Feuerwehr.
Die Rettungsleitstelle in Gotha etwa bekam erst am Donnerstag innerhalb von wenigen Minuten zwei Notrufe von derselben Handy-Nummer. Beim ersten Mal wurde ein medizinischer Notfall gemeldet, das zweite Mal ein Brand. In beiden Fällen rückten Rettungskräfte umsonst aus - es war falscher Alarm. Das Handy wird von einer 15-Jährigen genutzt, wie die Polizei herausfand. Nun wird wegen Notrufmissbrauchs ermittelt.
Einmalige versehentliche Anrufe werden in der Regel nicht geahndet. Immer wieder nutzen Anrufer den Notruf jedoch absichtlich, um die Beamten mit Belanglosigkeiten zu traktieren. Die Spanne der Themen reiche von erotischen Fantasien über Taxi- und Pizzabestellungen bis hin zu Fällen, in denen die Anrufer nach eigener Schilderung Stimmen hörten, berichtete Heidenfeldt. »Oft liegt solchen Fällen Drogenmissbrauch oder eine psychische Erkrankung zugrunde.«
Notrufmissbrauch kann mit einer Gefängnisstrafe von bis zu einem Jahr oder einer Geldbuße belegt werden. Ist der Anrufer schuldunfähig, sind der Polizei jedoch die Hände gebunden. In einem besonders krassen Fall habe eine mitteilungsbedürftige Frau in einem einzigen Jahr 4500 Mal den Notruf gewählt, sagte Heidenfeldt. Einfach auflegen sei in solchen Fällen allerdings keine Option: »Man weiß ja nie, ob beim 4501. Anruf doch ein echtes Problem besteht. Die Beamten müssen sich also jedes Mal mit dem Fall beschäftigen.«
Beliebter als der Anruf sei für belanglose Mitteilungen an Einsatzzentralen nur der klassische Postweg, erklärte Heidenfeldt. »Vielschreiber« tippten die Botschaften, in denen es meist um alles und gleichzeitig nichts gehe, teilweise noch mit der Schreibmaschine. Auch hier müssten die Beamten die Nachrichten selbst bei bekannten Wiederholungstätern zumindest kurz überfliegen und abheften. »Ich vermute, dass sich dieses Phänomen bei der Polizei noch relativ in Grenzen hält. Andere Behörden haben da sicher noch deutlich größere Probleme.« E-Mails würden hingegen bislang nur selten für solche Mitteilungen genutzt. dpa/nd
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