77 Tage Burgfrieden
Gabriele Oertel ist gespannt, ob Horst Seehofer so lange durchhalten kann, ohne wieder gegen die CDU-Führung Front zu machen
Vermutlich werden Angela Merkel und Horst Seehofer zu Wochenbeginn das gleiche Bild produzieren, wie kürzlich bei der Präsentation des Wahlprogrammes der Union: eitel Sonnenschein. Der heftige Streit um die Flüchtlingspolitik, die Zeit der Drohungen und Erpressungen soll - zumindest für die nächsten 77 Tage bis zur Bundestagswahl - vergessen gemacht werden. Deshalb wird zur CSU-Klausur in Kloster Banz, wo Kanzlerin und Bayerns Ministerpräsident dem heißen Wahlkampf den letzten Schliff verpassen wollen, das nicht anders sein. Demonstrativ üben die CDU- und CSU-Vorsitzenden den Schulterschluss, hoffen auf die Kraft des Beispiels.
Dass es in den Niederungen der Schwesterparteien weiter heftig brodelt, kann aber die verordnete Harmonie kaum übertünchen. Nicht nur, dass alte Wunden um Atomausstieg, Wehrpflicht, Frauenquote oder Mindestlohn längst nicht geheilt sind - die konservative Seele wurde mit der »Ehe für alle« aufs Neue arg strapaziert. Vielleicht auch im Wissen darum warnen Altvordere der Union, auch bei Umfragewerten von fast 40 Prozent nur ja nicht übermütig zu werden. Ganz abgesehen davon, dass das mit dem Übermut ohnehin nicht Sache der Kanzlerin ist - für den waren bislang immer die alten, zornigen Männer aus Bayern zuständig. Es wird spannend, wie lange Basis und Wähler den verlogenen Burgfrieden mitmachen.
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