Kurzerhand umgeschrieben

Österreichische Regierungsbeamte sollen eine Integrationsstudie gefälscht haben

  • Fabian Köhler
  • Lesedauer: 3 Min.

Sie förderten sprachliche Parallelwelten, schadeten der Integration und würden von Salafisten kontrolliert: Seit fast anderthalb Jahren diskutiert Österreich über die vermeintlichen Gefahren der rund 150 islamischen Kindergärten und 450 islamischen Kindergruppen im Land. Maßgebliche Grundlage der Vorwürfe: Eine von Sebastian Kurz, Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres, in Auftrag gegebene Studie des Religionspädagogen Ednan Aslan, die die schlimmsten Befürchtungen scheinbar bestätigte. Doch nun stellt sich heraus: Mitarbeiter des Ministers hatten viele der Anschuldigungen erst selbst hineingeschrieben.

Aufgedeckt hat den Skandal, der momentan Österreichs Politik und Medien beschäftigt, das kleine Wiener Stadtmagazin »Falter«. Unter dem Titel »Frisiersalon Kurz« hatten die Redakteure eine frühe Version der im März 2016 veröffentlichen Studie geleakt. Aus diesen Word-Daten im Bearbeitungsmodus geht hervor, wie ein leitender Beamter des Ministers die Studie in wesentlichen Punkten vor der Veröffentlichung umschrieb, bis diese das Bild integrationsfeindlicher islamfeindlicher Kindergärten bestätigte.

In der unveränderten Version heißt es zum Beispiel, muslimische Eltern wollten, dass ihre Kinder »selbstständig, respektvoll und liebevoll erzogen« werden. Der Beamte änderte den Satz kurzerhand in: Die Eltern wollen ihre Kinder »vor dem moralischen Einfluss der Mehrheitsgesellschaft schützen«. Während die Originalversion der Studie muslimischen Eltern bescheinigt, für ihre Kinder »Werte wie Respekt, Gelassenheit (und) Individualität« zu suchen, heißt es in der bearbeiteten Version stattdessen: »Besonders wichtig ist ihnen, dass den Kindern islamische Werte vermittelt werden.« Ersatzlos gestrichen wurde ein Abschnitt, in der ein Kindergartenbetreiber muslimische Pädagogen ausführlich für ihre Sprachkenntnisse lobt und ihnen eine »super Ausbildung« bescheinigt. Auch eine Passage, wonach Kindergärten und Eltern »besonderen Wert auf die Förderung der deutschen Sprache« legten, fiel dem Rotstift von Kurz’ Beamten zum Opfer.

Insgesamt 903 Änderungen lassen sich in den geleakten Dokumenten des »Falter« nachvollziehen. Oft handle es sich dabei nur um Formalia, aber in vielen Fällen hätte Kurz’ Ministerium die Studie auch inhaltlich so verändert, »damit sie politisch besser zu einem der dominierenden Wahlkampfthemen von Minister Kurz passt: dem Islam«, urteilt die »Falter«-Redaktion.

Gegenüber der Redaktion bestätigte ein Sprecher des Außenamtes zwar die Änderungen, verwies allerdings darauf, den Studienmacher Ednan Aslan über diese informiert zu haben. Man habe die Bearbeitungen an den Islamwissenschaftler »telefonisch durchgegeben«. Aslan, dem auch auch vor dem Leak schon unwissenschaftliches Arbeiten vorgeworfen worden war, kritisierte hingegen die Veröffentlichung. Sie stelle eine »wissenschaftliche Diffamierung und persönliche Beleidigung« dar. Allerdings bestätigte auch er die Bearbeitungen. Man habe den Bericht ergänzen müssen, »um weitere Komplikationen zu vermeiden«.

Aslan, der in Österreich vor allem für seine islamkritischen Positionen bekannt ist, äußerte zudem die Vermutung, der türkische Geheimdienst stünde hinter der Veröffentlichung. Ein Vorwurf, den die »Falter«-Redaktion umgehend zurückwies. Weitere Aufklärung soll nun eine eigens eingesetzte Kommission der Universität Wien liefern. Thema der Untersuchung: Nicht die Integrationstauglichkeit islamischer Kindergärten, sondern die Wissenschaftlichkeit von Aslans Studie.

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