»Olympische Spiele grundsätzlich früher vergeben«

Wirtschaftsprofessor Wolfgang Maennig plädiert für mehr Zeit und Sicherheit für Gastgeberstädte bei der Vorbereitung von Großereignissen

  • Nikolaj Stobbe, SID
  • Lesedauer: 4 Min.

Das IOC entscheidet in seiner Sitzung am Dienstag über die Doppelvergabe der Sommerspiele 2024 und 2028. Ein richtiger Schritt?
Ja, auch wenn Doppelvergaben nicht immer sinnvoll sein müssen. Aber Paris und Los Angeles sind zwei so starke Bewerber, dass man keinen verlieren sollte. Natürlich spielt auch der Gedanke eine Rolle, dass es nicht mehr so viele gute gute Kandidaten gibt.

Doch die Doppelvergabe hätte zur Folge, dass die Spiele 2028 schon elf und nicht wie üblich sieben Jahre vor der Ausrichtung vergeben werden. Diejenigen, die die Bewerbung durchgesetzt haben, sind bei der Durchführung oft nicht mehr im Amt. Ein Nachteil?
Der Personalwechsel ist auch bei sieben Jahren Vorlauf regelmäßig zu beobachten. Ich könnte mir sogar vorstellen, die Spiele grundsätzlich früher zu vergeben.

Zur Person

Wirtschaftsprofessor und Ruderolympiasieger Wolfgang Maennig würde es begrüßen, wenn das Internationale Olympische Komitee (IOC) am Dienstag die Doppelvergabe der Sommerspiele 2024 und 2028 beschließt. Der 57-Jährige, der mehrere Gutachten zu Olympiabewerbungen verfasst hat, sieht indes aber für Olympia in der Rhein-Ruhr-Region schwarz, wie er im Gespräch mit Nikolaj Stobbe verriet.

Wieso?
Weil sich dann eine Stadt frühzeitiger auf die Herausforderungen einstellen kann. Der zeitliche Druck für städtebauliche Maßnahmen wäre nicht mehr so groß. Außerdem kann eine gewählte Stadt länger als kommende Olympiastadt auftreten, mit entsprechenden Vorteilen für die internationale Aufmerksamkeit.

Vielleicht greift das IOC ihren Vorschlag auf?
Man könnte noch weitergehen. Man könnte vier, fünf Städte in einen Pool wählen und ihnen garantierten, dass sie die Spiele ausrichten werden. Die Städte hätten dann jede Sicherheit und Zeit, um sich zu entwickeln. Und wenn sie soweit sind, werden ihnen die nächsten Spiele zugeteilt. So kann man Extremfälle wie Athen 2004 und Rio 2016 verhindern, als die Bauarbeiten in den Gastgeberstädten erst im letzten Augenblick fertig wurden.

IOC-Präsident Thomas Bach kündigte an, dass beide Städte darüber verhandeln sollen, wer 2024 und wer 2028 dran kommt. Sinnvoll?
Durchaus. Ich habe den Eindruck, dass sie sich einigen werden. Und ich glaube, dass Paris den Zuschlag für 2024 erhalten wird. Nicht so sehr, weil die Verwaltung ihre Zusage für wichtige Areale auf 2024 begrenzt hat. In der Pariser Bevölkerung gibt es Vorbehalte gegen Olympia, die bei Gegnern in Bemühungen für eine Volksabstimmung gipfeln. Hierzu müssten allerdings erst die Gesetze geändert werden. Bis 2024 könnte man sich retten, aber bis 2028 könnte dies gefährlich werden. Deshalb soll Paris zuerst ran. Es gibt Angst vor dem Denver-Effekt.

Die spätere Bürgerbefragung?
Ja, Denver hatte 1970 den Zuschlag für die Olympischen Winterspiele 1976 erhalten. Im November 1972, gut drei Jahre drei Jahre vor den Spielen, stimmte die Bevölkerung wegen der hohen Kosten in einer Volksabstimmung gegen Olympia. Innsbruck sprang damals ein.

Also hält das Misstrauen der Bevölkerung vor Großprojekten an?
Die Menschen mögen Olympia und schauen es gerne. Aber zumindest in der jetzigen Form und mit den berichteten Kosten wollen viele eben leider nicht mehr Gastgeber sein. Viele Leute haben Angst, dass ihre Stadt komplett umgekrempelt wird und sie keine angemessenen Mitspracherechte haben, obwohl sie dies über Jahrzehnte erkämpft haben. Diese Ängste vor unklarer Finanzierung und überhasteter Stadtentwicklung war auch in Hamburg vorherrschend, als die Bewerbung für 2024 durchgefallen ist.

Sie leben und arbeiten in Hamburg. Wir sieht es dort jetzt mit der Olympiastimmung aus?
Das Thema ist leider vollkommen ad acta gelegt. Es gab keine vernünftige Aufarbeitung durch die Verantwortlichen, dabei hatte das Projekt viele interessante Ansätze. Über eine erneute Bewerbung spricht hier keiner mehr.

Dafür gibt es einen neuen Versuch mit der Rhein-Ruhr-Region für 2032. Das Ruhrgebiet hat sich jüngst in einer Umfrage sogar deutlich für Olympische Spiele ausgesprochen?
Mit Umfragen müssen wir vorsichtig sein. Auch in Hamburg gab es zwei Stunden vor dem Ergebnis der Bürgerbefragung eine Umfrageveröffentlichung, wonach 56,1 Prozent für Olympia seien. Das Ruhrgebiet hätte tatsächlich alle Potenziale, von einer begeisterungsfähigen Bevölkerung bis hin zu einer einzigartigen Fülle von Sportstätten. Es fehlt jedoch eine Stadt mit Weltruhm. In der Regel vergibt das IOC nur Spiele an Weltstädte mit mehr als zwei Millionen Einwohnern - und das sind weder Köln, Düsseldorf, Essen oder Dortmund. SID/nd

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