Plötzlich steht nicht nur die Rote Flora zur Debatte

CSU-Politiker für »gewaltsame Räumung« des linksautonomen Zentrums / Union stellt bundesweit Hausprojekte infrage / LINKE kämpft für Erhalt des bekannten Hamburger Szenetreffs

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 7 Min.

Als Unternehmer dürfte Alexander Tebbe ein Gespür dafür haben, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist, um für eine Idee in der Öffentlichkeit zu werben: Der Hamburger macht seit Montag mit einer Petition von sich reden, welche die Schließung des linksautonomen Kulturzentrums Rote Flora fordert. Immerhin knapp 5000 Menschen konnte Tebbe bis Dienstagmittag von der Idee überzeugen, dank medialer Unterstützung, etwa durch die »Bild«-Zeitung, dürften es noch einige Unterstützer mehr werden.

Dass der Unternehmer nicht unbedingt Freund kapitalismus- und gesellschaftskritischer Kreise ist, verrät der Petitionstext: Darin wird die »Rote Flora« unter anderem als »linksextreme Keimzelle zur Vorbereitung und Durchführung schwerster Straftaten« bezeichnet und unterstellt, es handelte sich um einen rechtsfreien Raum, der nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Als Beweise für diesen schweren Vorwurf führt Tebbe nicht etwa offizielle Polizeiberichte, den Hamburger Verfassungsschutz, mögliche Gerichtsurteile oder ähnliches an. Stattdessen verlässt er sich auf Beobachtungen und sein Bauchgefühl. So heißt es im Petitionstext, dass im »Eingangsbereich der Roten Flora« schon im Vorfeld der Proteste eine »Augenspülstation« installiert wurde. Tebbe schreibt dazu: »Der Sinn und Zweck solcher Aktionen ist nach dem G20-Wochenende wohl jedem klar geworden.«

Leider bleibt unklar, worin der grundgesetzfeindliche Charakter einer »Augenspülstation« liegt. Tebbe will vermutlich sagen, wer auf diese Weise für Reizgas-Einsätze der Polizei vorsorgt, muss etwas verbotenes im Schilde führen. Vielleicht war den Veranwortlichen aus der »Roten Flora« auch einfach klar, dass die Polizei während der G20-Gipfelproteste nicht unbedingt zurückhaltend mit Reizgas umgehen würde. Über solch eine »Augenspülstation« hätten sich gewiss auch so manche Journalisten, Blockadeteilnehmer oder sogar Polizeibeamte gefreut. Auch was für »Versammlungen schwarz-vermummter Personen« der Hamburger Unternehmer vor der Roten Flora beobachtet haben will, führt der Petitionstext nicht weiter aus. Schwarze Kleidung als Einstieg in den Schwarzen Block?

Rote Flora distanziert sich von Ausschreitungen

Schließlich schreibt Tebbe noch, ohne die Person bei Namen zu nennen oder zu zitieren, von Äußerungen der Sprecher der Roten Flora, »die Ausschreitungen Ja, aber bitte in Blankenese und nicht vor der eigenen Haustüre« gefordert hätten. Gemeint ist damit wohl die Äußerung von Flora-Anwalt Andreas Beuth. Der hatte gegenüber dem NDR am Sonnabend nach den Protesten, Blockaden und Krawallen im Schanzenviertel gesagt: »Wir als Autonome, und ich als Sprecher der Autonomen, haben gewisse Sympathien für solche Aktionen. Aber doch bitte nicht im eigenen Viertel, wo wir wohnen. Also, warum nicht in Pöseldorf oder Blankenese?« Und weiter: »Da gibt's auch bei uns großes Unverständnis, dass man im Schanzenviertel die eigenen Geschäfte zerlegt. Die Geschäfte, wo wir selbst einkaufen.« Die Stadtteile Pöseldorf und Blankenese gelten übrigens als Hamburgs wohlhabendere Viertel. Beuth distanzierte sich schon kurz darauf mehrfach von seiner Aussage.

Gegenüber der Nachrichtenagentur dpa nannte er die Ausschreitungen im Schanzenviertel einen Ausdruck »sinnfreier Gewalt« und sagte: »Wenn man anfängt, die kleinen Läden zu zerlegen und die Autos der Anwohner, dann habe ich da kein Verständnis für. Das wollen wir nicht, das muss unterbleiben.« Auch im Interview mit dem »Hamburger Abendblatt« stellte der linke Rechtsanwalt noch einmal klar: »Solche Aktionen sind sinnentleerte Gewalt und haben eine Linie überschritten. Ich distanziere mich auf das Schärfste von dem, was dort am Freitagabend passiert ist. Auch wir sind fassungslos über die Geschehnisse.«

Auch der zweite Sprecher der Roten Flora, Andreas Blechschmidt, wird dieser Tage nicht müde, in der Diskussion über die Ereignisse von Hamburg zwischen Zivilem Ungehorsam, militanten Aktionen und Gewalt zu differenzieren. »Wir sagen immer, dass die bewusste Regelübertretung Teil autonomer Politik sein muss«, sagte Blechschmidt bereits am Sonnabend. »Aber wir sagen auch, es gibt Kriterien dafür und auch rote Linien. Die Art und Weise, wie letzte Nacht hier agiert worden ist, hat aus unserer Sicht diese rote Linie überschritten.« Die Rote Flora sei zudem nicht an den Gewalttaten beteiligt gewesen.

Differenzierte Töne sucht der Leser in der Petition von Alexander Tebbe dagegen vergeblich. Dort wird stattdessen gefordert, das linksautonome Kulturzentrum zu schließen, um daraus »einen öffentlichen Kindergarten oder eine Grundschule mit großem (drogenfreien) Spielplatz für alle« zu gestalten.

CSU fordert Schließung autonomer Zentren

Von politisch wenig überraschender Seite dürften solche Vorschläge aus der Hamburger Oberklasse auf Unterstützung stoßen. Selbst im Süden der Republik sorgt man sich bereits um das Wohl der Hanseaten. »Quasi rechtsfreie Räume wie die Rote Flora oder die Rigaer Straße müssen konsequent geschlossen werden«, heißt es in einem Papier der CSU-Bundestagsabgeordneten, das auf einer Klausurtagung im oberfränkischen Kloster Banz beschlossen wurde. Ähnlich mahnend wie in der Petiton heißt es: »Gefahren für Leib und Leben der gesamten Bevölkerung finden in diesen Stätten ihren Nährboden. Das ist mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zu unterbinden.« Der bisherige »Kuschelkurs« von SPD, Grünen und Linken in Hamburg und Berlin sei unverantwortlich.

Auch aus der CDU waren fast wortgleiche Töne zu hören: »Ob Rote Flora in Hamburg, die Rigaer Straße 94 in Berlin oder der von vermeintlichen Umweltaktivisten seit Jahren besetzte Hambacher Forst - es gibt keine Legitimation für derart rechtsfreie Räume«, behauptete der CDU-Innenexperte Armin Schuster gegenüber »Bild«. Schusters CSU-Kollege Stephan Mayer forderte im gleichen Boulevardblatt sogar in alter Westernmanier »eine gewaltsame Räumung der Roten Flora«. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sieht in der Hausbesetzerszene »unübersehbar eine Keimzelle von Linksautonomen und anarchistischen Kräften« und forderte ein konsequentes Vorgehen gegen solche Zentren. Herrmanns Worten zufolge geht es demzufolge längst nicht mehr um die Aufklärung möglicher Straftaten. Die Union stellt die linksradikale Szene mal eben unter Generalverdacht.

Unter dem Eindruck der Ereignisse vom Wochenende verfehlt die permanente Wiederholung solcher Forderungen offenbar nicht ihre Wirkung. Nach einer Umfrage des Instituts Insa für »Bild« vom Dienstag unterstützen drei von vier Befragten (74,9 Prozent) den Vorschlag, Häuser wie die Rote Flora zu räumen. Für die Umfrage befragte Insa am Dienstag 1017 Menschen, bei den Ergebnissen gibt es stets einen Fehlerbereich.

Scholz warnt vor »Schnellschuss«, die Grünen haben Gesprächsbedarf

Wie es um die Zukunft der Roten Flora bestellt ist, wird auch maßgeblich davon abhängen, wie sich Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) weiter verhält. Am Mittwoch will er in der Hamburgischen Bürgerschaft eine Regierungserklärung abgeben. Nicht nur aus den Reihen der CDU werden die Rufe nach seinem Rücktritt lauter, da er als oberster politischer Verantwortlicher für die Eskalation gilt. Im Gegensatz zur Union sprach sich Scholz allerdings gegen einen »Schnellschuss« aus, was eine mögliche Räumung der Roten Flora angehe. Über Konsequenzen müsse aber nachgedacht werden. Das seit fast 30 Jahren besetzte ehemalige Theatergebäude gilt als eines der wichtigsten Zentren der linksautonomen Szene in Deutschland, genießt unter vielen Hamburgern durchaus große Sympathien.

Auch die Grünen befinden sich nun in einer Zwickmühle und stehen zwischen den Stühlen. Einerseits tragen sie als Regierungspartner die Ausrichtung des Gipfels und dessen umstrittene Durchsetzung durch die Polizei politisch mit. Andererseits gibt es auch in ihren Reihen Mitglieder, die am linksalternativen Schanzenviertel hängen. Um die Ereignisse der vergangenen Tage aufzuarbeiten, wurde eine Landesvorstandssitzung am heutigen Dienstag zu einem Mitgliederabend umfunktioniert. Die Partei will sich erst austauschen, bevor sie voreilige Schlüsse zieht.

LINKE kämpft für den Erhalt des linksautonomen Kulturzentrums

Eben solche befürchtet nun der LINKEN-Bundestagsabgeordnete und Mitorganisator der Großdemonstration »Grenzenlose Solidarität statt G20« vom vergangenen Sonntag, Jan van Aken. Er stellt sich entschieden gegen die Forderung einer Flora-Schließung. Das sei »völliger Quatsch«, das Zentrum habe »eine ganz wichtige Funktion« in Hamburg, sagte van Aken am Montagabend im Deutschlandfunk. Es zu schließen, wäre seiner Ansicht nach »das Schlimmste, was man tun kann«. Derartige Überlegungen aus der Richtung von Bürgermeister Scholz seien nur dazu da, seine Haut zu retten, so van Aken. Er müsse jetzt vor der Bundestagswahl zeigen, die SPD könne auch »law and order« und hart durchgreifen. »Das ist keine vernünftige Reaktion auf das, was am Wochenende passiert ist.« Van Aken schloss sich Rücktrittsforderungen gegen Scholz zwar nicht an, forderte aber Innensenator Andy Grote (SPD) zum Rücktritt auf. Dieser habe »alles verbockt, was zu verbocken war«, erklärte der LINKEN-Politiker weiter. Er müsse sofort zurücktreten.

Ähnlich sieht dies auch die Fraktionschefin der Hamburger LINKEN, Sabine Boeddinghaus. Gegenüber dem NDR forderte sie einerseits eine Aufarbeitung der Ereignisse und andererseits eine Distanzierung von jenen, die tatsächlich gewalttätig in der Schanze unterwegs waren. »Aber die Rote Flora ist Teil unserer Stadt und bleibt auch Teil unserer Stadt.«mit Agenturen

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