»Cobras« im Schanzenviertel

Auch Wiens Elitepolizei kämpfte sich durch Hamburg / Bundesjustizminister Maas wirbt nun für »Chaotendatei«

  • René Heilig
  • Lesedauer: 5 Min.

Es wird noch eine Weile dauern, bis sich die verschiedenartigsten Aufregungen über das Agieren der Polizei beim G20-Gipfel gelegt haben. Doch bereits jetzt ist deutlich: Der Staat hatte alles aufgefahren, was zur Verfügung steht – und noch mehr. Dafür karrte man nicht nur die Einsatzbereitschaften aus allen Bundesländern heran. Aus alten Revierschutzmännern rekrutierte man Alarmhundertschaften. Die Bundespolizei schickte mehr als die Hälfte ihres Mannschaftsbestandes, darunter die Antiterror-Einheiten samt GSG 9.

Zugleich orderte man demoerfahrene Verstärkung aus anderen EU-Ländern. Beispielsweise aus Frankreich, wo die Polizei über Absperrtechnik verfügt, die hierzulande unbekannt ist. Die österreichische Antiterroreinheit »Cobra« wechselte von der Donau an die Elbe: rund 70 Elitekämpfer. Mindestens 20 waren in nächtliche Straßenkämpfe verwickelt. »Wir sind mit den deutschen Spezialkräften an den Brennpunkten, die sich ergeben, eingesetzt«, bestätigte Cobra-Einsatzleiter Gerald Hayder. Man habe versucht, »Personen festzunehmen«, was im Schanzenviertel »sehr häufig der Fall war«.

Grundlage für solche Einsätze sind bilaterale Polizeiabkommen, die Deutschland mit allen Nachbarstaaten abgeschlossen hat. Möglich macht das der 2005 besiegelte Prümer Vertrag. Ursprüngliches Ziel: »Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus, der grenzüberschreitenden Kriminalität und der illegalen Migration.« Doch die Ziele sind – siehe das bereits 2003 geschlossene Abkommen zwischen Berlin und Wien – weit auslegbar: »Bei dringendem Bedarf können zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung sowie zur Verfolgung von Straftaten Beamte der Polizeibehörden des einen Vertragsstaates den zuständigen Stellen des anderen Vertragsstaates ausnahmsweise zur Wahrnehmung polizeilicher Vollzugsaufgaben einschließlich hoheitlicher Befugnisse unterstellt werden.«

Man muss davon ausgehen, dass »ausnahmsweise« immer mehr normal wird. Nach den Hamburger Ereignissen wird es zu einer weiteren Internationalisierung und Militarisierung der EU-Polizeiarbeit kommen. Doch jede Reaktion auf der einen Seite wird ihre Entsprechung auf der anderen nach sich ziehen. So wie die Polizeien die Taktik der sogenannten Linkschaoten studieren, wappnen sich die für künftiges apolitisches Kräftemessen.

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat sich zu Wochenbeginn mit einem zweiseitigen Brief an seine EU-Amtskollegen gewandt, um deren Hilfe bei der grenzüberschreitenden Ermittlung von mutmaßlichen Straftätern anzukurbeln. Grundsätzlich will er mehr Vorsorge gegen vergleichbare Anstürme organisieren. Dazu soll (noch) eine spezielle EU-Datei aufgebaut werden. Zustimmung bekommt Maas vom Bundesinnenminister. Doch Thomas de Maizière (CDU) ist zurückhaltender. Zu oft hat er sich selbst durch übergroßen Aktionismus blamiert.

Will man eine solche Datei, muss man erst einmal die (noch) 28 EU-Staaten, die sich die Europäische Polizeibehörde EUROPOL leisten, von ihrem Sinn überzeugen. Und dann klären, wessen Daten man speichern will. Die von Linksextremen – das ist zu vage. Denn das betrifft hierzulande – folgt man dem gerade vorgestellten Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2016 – rund 28 500 Personen. Davon seien 8500 gewaltbereit. Von denen wiederum ordnet man 6800 das Prädikat autonom zu.

Wer entsprechende Zahlen der Landesämter für Verfassungsschutz addiert, merkt, dass da irgendwer schief rechnet. Allein in Bayern gibt es angeblich 3434 Linksextremisten. Darunter werden auch Strukturen der Linkspartei, der DKP, der VVN und anderer demokratischer Organisationen eingeordnet. Was in Thüringen oder Berlin nicht der Fall ist. Laut Landesamt für Verfassungsschutz Bayern gibt es allein in dem Bundesland 690 gewaltbereite Linksextreme. In Baden-Württemberg soll es so 820 gewaltorientierte Linksextremisten geben, sagt der dortige Verfassungsschutz. Ergo: Allein diese beiden Bundesländer beherbergen ein Fünftel aller »Links«-Chaoten.

Möglicherweise beginnen die Zählprobleme bereits bei der Definition von Linksextremismus. Der zerfällt laut Bundesamt für Verfassungsschutz in zwei Hauptströmungen. Da sind einerseits die »dogmatischen Marxisten-Leninisten und sonstige revolutionäre Marxisten«, die »eine sozialistische bzw. kommunistische Gesellschaftsordnung« errichten wollen. Und dann gibt es »Autonome, Anarchisten und sonstige Sozialrevolutionäre«, die ein »selbstbestimmtes Leben frei von jeglicher staatlicher Autorität« anstreben.

Das sind reichlich naive Vorstellungen. Noch naiver ist der Gedanke, die beiden Gruppierungen von einander abgrenzen zu können. Bleibt die Möglichkeit, dass man sich nur auf Menschen konzentriert, die wegen entsprechender Gewalttaten bereits verurteilt wurden. Was absurd ist, denn man will ja bereits Gewaltbereite im Blick haben.

Ein Blick in die jeweiligen polizeilichen Kriminalstatistiken der Länder und des Bundes zeigt die Hoffnungslosigkeit dieses Vorhabens. Ganz absurd wird es, wenn man Tagesaktualität anstrebt. Doch nur die würde hilfreich sein, will man vor gesellschaftlichen Ereignissen à la G20 wissen: Was machen X und Y wann und wo?

Da Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) nach den Hamburger Geschehnissen selbst den Vergleich zum islamistischen Terrorismus aufgemacht hat: Erinnert sei an das nationale Behördenchaos in Sachen Weihnachtsmarkt-Attentäter Anis Amri. Nicht einmal ein einzelner, den Behörden bekannter mutmaßlicher Straftäter konnte im Blick gehalten werden. Das stelle man sich nun im EU-Maßstab vor, wenn es um ein paar Tausend Randalebrüder geht.

Unter die sich dann auch noch gewaltbereite Rechtsextremisten und Hooligans von HOGESA mischen. Es gab entsprechende Berichte in Hamburger Medien, und man erinnert sich an die Straßenschlachten, die diese Gewalttäter der Polizei 2015 in Köln geliefert haben.

Bei all dem sind noch gar nicht die unterschiedlichen Datenschutzbestimmungen in den EU-Staaten berücksichtigt. Unklar ist zudem, wie unterschiedlich man Geheimdienste und Polizeibehörden an der Befüllung und Nutzung der Datei beteiligen will.

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