Autonom greifen, aber nicht schießen
Nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima kam die Frage nach dem Einsatz von Robotertechnik in radioaktiven Zonen auf
Bei der Reaktorkatastrophe in Fukushima fragte sich mancher, wieso im Pionierland der Robotertechnik nicht erst einmal Roboter in die radioaktiven Zonen geschickt wurden. Einige Antworten lieferte kürzlich der Roboterwettbewerb »Enrich« im österreichischen Zwentendorf. Dort steht Österreichs einziges Kernkraftwerk, fertig gebaut, aber nie in Betrieb gegangen - weil die Österreicher sich in einer Volksabstimmung 1978 mit einer Mehrheit von 50,47 Prozent dagegen aussprachen.
Seitdem dient es als Kulisse für Filme, Veranstaltungsort für Technopartys oder eben als Übungsgelände wie bei »Enrich«. Elf Teams nahmen teil, die nach einem simulierten Reaktorunfall mit ihren Robotern die Lage erkunden und möglichst auch klären sollten. Dabei ging es um eine vergleichsweise harmlose Situation. Anders als in den Kraftwerken von Harrisburg, Tschernobyl oder Fukushima - den drei bislang schwersten Reaktorkatastrophen - drohte keine Kernschmelze. Vielmehr, so die Annahme, sei beim Wechsel der Brennelemente einer dieser Brennstäbe zerbrochen, sodass radioaktives Material im Raum verstreut wurde. Das galt es nun mit Roboterhilfe einzusammeln.
Im Reaktorraum in knapp 40 Metern Höhe hatten Spezialisten des Österreichischen Bundesheeres dafür etliche Metallzylinder in der Größe von Kugelschreibern verteilt. In einigen davon befand sich radioaktives Kobalt-60. Um diese strahlenden Zylinder zu finden, wurden nun die Roboter mit dem Kran, der eigentlich für den Transport der Brennelemente vorgesehen war, in den Raum gehoben. Gesteuert wurden sie vom Eingangsbereich des Kraftwerks aus. Einige Teams konzentrierten sich auf Teilaufgaben wie die Erstellung einer dreidimensionalen Karte der Umgebung. Im Zentrum der Aufmerksamkeit standen aber die Messung der Strahlung sowie das Deponieren der heißen Strahlungsquellen in einem bereitstehenden Eimer.
Das erwies sich selbst bei diesem vergleichsweise einfachen Unfallszenario als durchaus schwierig. So kann die Messung der Strahlung je nach Empfindlichkeit des verwendeten Sensors bis zu 40 Sekunden erfordern. Ein Roboter darf sich daher nicht zu schnell durch den Raum bewegen, um keine Strahlungsquelle zu übersehen. Da sich die Richtung, aus der die Strahlung kommt, nur sehr ungenau bestimmen lässt, ist es zudem bei dicht nebeneinanderliegenden Zylindern ein Problem, die heiße Probe eindeutig zu identifizieren. Das schwedisch-italienische Team des Roboterherstellers Brokk behalf sich, indem es verdächtige Zylinder mit dem Roboterarm griff und sie zum Strahlungssensor führte. Der reagierte dann innerhalb weniger Sekunden mit einem Anstieg der gemessenen Werte oder nicht.
Anders ging das Team der Firma Telerob vor: Hier war der Sensor direkt am Greifer befestigt. Wenn ein Zylinder um etwa fünfzig Zentimeter angehoben wurde, zeigte daher ein gleichbleibend hoher Wert eine heiße Probe, ein abfallender Wert dagegen eine kalte Probe an. Für die Identifikation von Strahlungsquellen waren beide Methoden gleichermaßen tauglich, allerdings ließ sich der kleinere und leichtere Roboter von Telerob deutlich besser manövrieren und fand dadurch am Ende mehr heiße Proben. Auf besonderes Interesse stieß der Ansatz des Fraunhofer-Instituts für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie (FKIE). Zum einen verfügt das Robotersystem über eine intuitive Steuerung des Arms: Der Operator trägt eine Jacke, an deren Ärmel Sensoren befestigt sind. Auf diese Weise lassen sich die Bewegungen seines Arms direkt auf die des Roboterarms übertragen. Zum anderen sind viele Greifbewegungen aber auch automatisiert, sodass der Operator nur noch per Mausklick den zu greifenden Gegenstand auf dem Bildschirm markieren muss. Den Rest erledigt der Roboter dann autonom. Lediglich bei sehr dicht nebeneinander oder in einer Ecke liegenden Zylindern musste der Operator manuell eingreifen.
Michael Janisch, Leiter des Amtes für Rüstung und Wehrtechnik des österreichischen Bundesheeres, das den Wettbewerb gemeinsam mit dem FKIE organisiert hat, schaute hier besonders genau hin. Durch das automatisierte Greifen ließen sich »unter anderem Schäden an den gegriffenen Objekten reduzieren, was gerade beim Einsammeln radioaktiver Proben von großer Bedeutung ist«, erklärte er. Teilautonome Aufgabenerfüllung reduziere außerdem die Anforderungen an die Funkverbindung, die gerade in einem Kernkraftwerk mit seinen dicken Betonwänden schwer zu realisieren sei. »Zudem ist ein permanent sendendes und damit strahlendes Objekt natürlich sehr leicht detektierbar und damit auch bekämpfbar«, so Janisch, »was in vielen militärischen Einsatzszenarien nachteilig ist.«
Autonome Roboter im Militäreinsatz - das klingt dann doch gleich deutlich unheimlicher als die selbstständig greifenden Katastrophenhelfer im Kraftwerk. Werden solche Roboter dann früher oder später nicht auch über den Einsatz tödlicher Waffen entscheiden? Dafür müssten sie zuverlässig zwischen Freund und Feind unterscheiden können, sagte Janisch. Ein solcher Algorithmus sei nicht in Sicht. »Eine demokratische Regierung wird sich auf so ein Experiment nicht einlassen«, ist er überzeugt. »Es gibt von unserem Ministerium auch ganz klare Weisungen, keinerlei Entwicklungen in diese Richtung vorzunehmen.«
Aber lässt sich eine solche Position auch halten, wenn der Gegner autonome Kampfroboter entwickelt? Beim Forum »Unmanned Vehicles« der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik in Bonn-Bad Godesberg war zu erkennen, dass die Sorge offenbar auch im militärisch orientierten Diskurs zunimmt. Es gebe ein hohes Potenzial für einen Rüstungswettlauf, der erheblich schwerer zu kontrollieren sein dürfte als bei den Nuklearwaffen, warnte Michael Lauster vom Fraunhofer-Institut für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen. Und André Haider, Forscher am Joint Air Power Competence Centre der NATO, räumte ein: »Im defensiven Bereich werden uns möglicherweise die erforderlichen schnelleren Reaktionszeiten in Richtung Autonomie zwingen, um der autonomen Aggression etwas entgegensetzen zu können.«
Auf der einen Seite die guten Roboter, die bei Katastrophen helfen, auf der anderen Seite die bösen, die tödliche Waffen abfeuern - so einfach ist die Sache dann offenbar doch nicht. Die Frage, wie die Menschen mit dieser Technologie umgehen wollen, wie sie die Gesellschaft verändern soll, wird uns noch lange beschäftigen.
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