Ewig nur Fertigessen in der Asylunterkunft

Viele Geflüchtete sind auch Monate nach ihrer Ankunft auf gelieferte Mahlzeiten angewiesen, weil es keine Küchen in den Heimen gibt

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 3 Min.

Rund 10 000 Geflüchtete wohnen noch immer in 37 Berliner Notunterkünften und sind dort fast immer auf Fertigessen angewiesen. Das oft seit länger als einem Jahr, denn es gibt in den meisten Notunterkünften keine Küchen zum Selberkochen. Mehreren Hundert Flüchtlingen könnte das Land Berlin allerdings sofort helfen, wenn es eine reine Schikane abstellen würde.

Es handelt sich um die Bewohner der Notunterkunft in der Stresemannstraße in Kreuzberg. Das ehemalige Hotel in bester Stadtlage mit einer Kapazität von 360 Plätzen gehört zu den besseren Unterkünften in der Stadt. Neun der 13 Etagen, in denen Flüchtlinge wohnen, hatten aus Hotelzeiten noch Küchen. Der Betreiber DRK war allerdings verpflichtet, die Küchen stillzulegen. «Das war eine Auflage des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten. »Als Betreiber sind wir an diese Auflagen gebunden«, sagt DRK-Sprecherin Regina Radtke-Lottermann dem »nd«. Das Ergebnis: Alle Bewohner erhalten Fertigessen - und das seit eineinhalb Jahren.

»Die Bewohner sind frustriert und können das ewig gleiche Essen nicht mehr sehen«, sagt Harry Sachs vom Zentrum für Kultur und Urbanistik. Das ist eine von 15 Künstlerinitiativen, die in den beiden oberen Etagen des Gebäudes mit Geflüchteten arbeiten. Es gibt etwa einen Tanzworkshop für Kinder und Jugendliche, gemeinsames Musizieren von Künstlern und Flüchtlingen und einen Klub für geflüchtete Journalisten. »Dem DRK kann man keinen Vorwurf machen«, sagt Sachs. »Es musste die Kochgelegenheiten sogar teilweise abbauen, ist aber seit eineinhalb Jahren mit dem Landesamt in Verhandlungen, um das zu ändern. Ohne Erfolg.« Sachs stört noch etwas anderes: Seit Monaten würde die Kapazität des Heimes immer weiter abgebaut werden, »obwohl die Wohnbedingungen gut sind und während gleichzeitig in den Tempelhof-Hangars Menschen auf engstem Raum miteinander klarkommen müssen. Warum lässt man die Bewohner von dort nicht einfach in die Stresemannstraße umziehen, wo die Bedingungen besser sind?« Das DRK bestätigt, dass von den 360 Plätzen nur 230 belegt sind. Über Belegungen entscheidet grundsätzlich nicht der Betreiber, sondern das Land.

Stephanie Reisinger vom Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) räumt auf nd-Anfrage ein, dass sich in mehreren Etagen des Hauses Küchen befinden. Aber eben nicht in allen Etagen. »Das heißt, es würden nur wenigen Bewohnern der Unterkunft mit Vollverpflegung überhaupt Küchen zur Verfügung stehen - wenn diese nutzbar wären.« Mit anderen Worten: Wenn ein Drittel der Bewohner keine Küchen hat, sollen doch bitte die anderen zwei Drittel auch nicht kochen können. Reisinger weist auch darauf hin, dass die Küchen »erst baulich instand gesetzt werden müssten, damit sie für eine Nutzung abgenommen werden könnten«. Für Harry Sachs von der Künstlerinitiative ist das absurd. »Das ehemalige Hotel wurde in einem baulich einwandfreien Zustand als Flüchtlingsheim übernommen. Die Küchen waren perfekt, bevor sie auf Weisung der Behörde zuerst abgeschaltet und später die Herde demontiert werden mussten.« Dass dieser vom Landesamt selbst verschuldete Zustand der Küchen jetzt als Argument gegen die Nutzung herhalten muss, erinnere an ein Stück aus dem Tollhaus. »Das LAF hätte das Haus längst in eine Gemeinschaftsunterkunft mit Küchen umwandeln können. Der Vermieter hat einen langfristigen Mietvertrag in Aussicht gestellt«, kritisiert er.

Auch die Grünen-Abgeordnete Canan Bayram wundert sich über das Agieren des Landesamtes. »Wir wollen Geflüchteten so viel Selbstbestimmung ermöglichen, wie es geht. Sein Essen selbst zubereiten zu können, ist ein grundlegender Bestandteil von Selbstbestimmung.« Sofern keine Brandschutzbedenken der Inbetriebnahme der Küchen entgegenstehen, sollten sie so schnell wie möglich in Betrieb genommen werden, fordert die Abgeordnete.

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