Italiens schwimmende Kultfigur

Federica Pellegrini übertrifft bei den Weltmeisterschaften in Budapest alle Erwartungen

  • Andreas Morbach, Budapest
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine ganze Weile blickte Federica Pellegrini ungläubig auf die riesige Anzeigetafel auf der gegenüberliegenden Seite der Schwimmhalle. Fast apathisch wirkte die Schwimmerin aus Norditalien, als sie den Namen Katie Ledecky vergeblich ganz oben in der Reihe der acht Finalistinnen suchte. Die US-Schwimmerin mit dem beeindruckenden Kreuz hatte bislang jeden ihrer zwölf Auftritte bei Weltmeisterschaften als Siegerin beendet. Doch nach dem Dutzend Goldplaketten in Serie thronte plötzlich eine andere über ihr: Federica Pellegrini, die Unverwüstliche.

Als die 28-Jährige aus Venetien ihre erste Medaille bei einem großen internationalen Wettkampf gewann, war Ledecky sieben Jahre alt, hatte ein Jahr zuvor gerade ihren ersten kleinen Schritt zur späteren Karriere unternommen. Mit der Teilnahme im Summer League Swim Team, zusammen mit ihrem älteren Bruder Michael. Währendessen räumte Pellegrini in Europa ab: Bei Olympia 2004 gewann sie über vier Bahnen Kraul Silber, zwölf Tage nach ihrem 16. Geburtstag.

Drei Ränge hinter ihr schlug in Athen Franziska van Almsick an, damals Pellegrinis großes Vorbild. Als Weltrekordhalterin war die Berlinerin angereist, beim abendlichen Abmarsch aus dem olympischen Schwimmstadion knallte sie ihren Walkman auf den Betonboden. Nach der Enttäuschung in der griechischen Metropole trat van Almsick zurück - und Pellegrini legte richtig los.

Der größte Triumph gelang Pellegrini mit dem Olympiasieg 2008, dazu kamen vier WM-Titel auf den mittleren Freistilstrecken. Bei den Spielen in London und Rio verpasste sie jeweils das Siegerpodest, Pellegrinis Stern schien zu sinken. Umso krachender fiel nun ihre finale Fanfare in der Duna Arena aus: Bei der letzten Wende lag sie noch deutlich hinter Ledecky und der Australierin Emma McKeon - ehe sie die letzten 50 Meter fast eine Sekunde schneller als die beiden Konkurrentinnen schwamm.

»Im Wasser lief für mich alles wie in Zeitlupe ab. Bei der letzten Wende waren wir alle zusammen - also hab‘ ich einfach meine Augen geschlossen«, erzählte Pellegrini später. Dann stockte ihre Stimme kurz - als habe sie Angst, das Ganze wäre nur ein Traum. »Ich dachte nicht, dass ich es schaffen würde«, sagte sie schließlich. »Eigentlich kann ich es immer noch nicht glauben.«

Als Europas Schwimmerin der Jahre 2009, 2010 und 2011 aus dem Becken stieg, verzückte sie das Publikum. Die rechte Hand auf den Brustkorb gelegt, verneigte sie sich elegant vor den Zuschauern. Von den Tribünen brandete der Freistilspezialistin Applaus entgegen - ihre Landsleute waren komplett aus dem Häuschen.

In ihrer Heimat Italien ist Pellegrini längst ein Superstar. Besonders eindrucksvoll offenbarte sich ihre Beliebtheit bei der Heim-WM 2009. Jedes Mal, wenn sie nach einem Wettkampftag in Rom abends aus der Arena chauffiert wurde, gerieten die Menschen in Ekstase. Ein ganzes Rudel Carabinieri riegelte den Verkehr an der Lungotevere Maresciallo Cadorna ab, unter dem Gekreische der Fans griffen Paparazzi zu ihren Kameras. Ein Ambiente, als säßen im Inneren des Wagens Sophia Loren oder der Papst.

Acht Jahre später gelang ihr beim hochkarätigsten Finale der Frauen in Budapest nun ein großes Comeback. »Göttliche Pellegrini!«, titelte die »Gazzetta dello Sport«, und aus der Fußballerecke kommentierte Torhüterikone Gianluigi Buffon: »Federica ist ein Stolz für alle Sportliebhaber, eine Fahne für alle Italiener.« Eine schwimmende Kultfigur, die mit ihrem extrovertierten Umgang mit den Boulevardmedien immer wieder für Gesprächsstoff sorgt.

In einer Woche feiert der Superstar aus der venezianischen Gemeinde Mirano seinen 29 Geburtstag, am Ufer der Donau strahlte Pellegrini nach ihrem historischen Nackenschlag für Katie Ledecky: »Was für ein schönes Geschenk im letzten Rennen über 200 Meter Freistil in meinem Leben.« Ein dramaturgisch perfekt inszeniertes Finale, mit viel Grandezza. Pflichtprogramm eben für eine wahre Diva.

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