Piekser als Lebensretter
Im armen Malawi setzt die Regierung auf Impfprogramme
Als das Fieber von Alfosina Aberis Sohn immer höher stieg, band sich die Mutter den einjährigen Jungen mit einem Tuch auf den Rücken und machte sich auf den Weg ins Tal. Von Sumbi, einem 4000-Seelen-Dorf auf einer Bergkuppe im Süden Malawis, hat man bei klarer Sicht einen weiten Blick. Doch in der Nacht, in der Aberi verzweifelt versuchte, die nächste Krankenstation zu erreichen, heftete sie ihren Blick nur auf den Pfad vor ihr, um nicht in die Tiefe zu stürzen. Als der Morgen graute, kam sie endlich an. In letzter Minute.
Die Geschichte, wie die Ärzte ihren fiebernden Sohn retteten, erzählt die 35-jährige Aberi im spärlichen Schatten, den ihre strohgedeckte Lehmhütte wirft. In dem einzigen, kreisrunden Raum lebt sie mit ihrem Mann und fünf Kindern. »Wir bräuchten dringend eine eigene Krankenstation hier in den Bergen«, fleht sie. »Jedes Mal, wenn ich die Wehen gespürt habe, bin ich den langen Weg gelaufen.« Doch das größte Problem sind die Kranken. Viele kommen zu spät unten an. Als an diesem Morgen im Dorf geimpft wird, hat Aberi deshalb nicht zweimal überlegt.
»Wenn hier Masern oder Röteln ausbrechen, dann würden meine Kinder das auch bekommen«, sagt sie. »Deshalb gibt es gar keine Alternative zur Impfung. Ich bin froh, dass sie gemacht wird.« Mit allen fünf Kindern hat sie sich vor dem Holztisch unter freiem Himmel angestellt, wo Krankenpfleger eine Spritze nach der anderen aufgezogen haben. Ein Pieks, der Nächste bitte. Am Schluss sind 250 Jungen und Mädchen geimpft, die Kinder haben außerdem Vitamin-A-Tabletten und Wurmkurmittel erhalten. Wenn die Gesundheit schon einmal nach Sumbi kommt, dann richtig.
Malawi, das sich »das warme Herz Afrikas« nennt, ist ein armes Land. Viele ziehen weg, um ihre Träume im Ausland zu verwirklichen. Peter Kumpalume studierte in Großbritannien Chemie und Pharmazie, arbeitete in britischen Krankenhäusern und war Direktor beim Konzern GlaxoSmithKline, der als »Impfstoffriese« gilt. Dann kehrte er zurück. »Unser Gesundheitssystem ist schwach, weil wir mehr als 17 Millionen Malawier vor allem auf dem Land versorgen müssen - alleine die Infrastruktur kostet Unsummen.« Kumpalume muss es wissen. Seit zwei Jahren ist er Malawis Gesundheitsminister.
In den Krankenstationen, die unter seiner Aufsicht stehen, erstellen Laboranten Diagnosen und operieren Krankenpfleger. Denn viele Ärzte, aber auch Krankenschwestern ziehen nach Europa oder zumindest nach Südafrika, Botsuana oder Lesotho, wo die Gehälter höher sind. »So viel wie dort können wir schlicht nicht zahlen«, gibt Kumpalume zu. »Es ist schwer, die Fachkräfte zu halten, obwohl ich aus eigener Erfahrung weiß, wie schwer das Leben im Ausland ist, wie schnell das Mehr an Geld verpufft.« Für Malawi setzt Kumpalume auf die günstigste Medizin: Impfprogramme.
In Malawi werden derzeit 7,9 Millionen Kinder geimpft, die jüngsten sind neun Monate alt, die ältesten 14 Jahre. Die Kosten für die Kampagne trägt die globale Impfallianz Gavi, die von Staaten, Unternehmen und privaten Gebern wie der Gates-Stiftung finanziert wird. Ihr Ziel: jedes Kind zu impfen. Derzeit haben weltweit 14 Prozent der Kinder noch nie eine Schutzimpfung erhalten. Anders in Malawi. »Unsere Impfquote liegt bei 95 Prozent, das spart uns Betten in den Krankenhäusern, Behandlungszeit und letztlich Geld«, freut sich Minister Kumpalume.
Die jetzt neu eingeführte Röteln-Impfung soll Malawis Kinder vor einer weiteren Krankheit schützen. Kumpalume hat sich verpflichtet, die Impfung ab sofort ins reguläre Impfprogramm aufzunehmen. Auch das bezuschusst Gavi, der Staat zahlt entsprechend seiner Möglichkeiten zu. »Das Problem ist: Für Impfungen müssen die Leute in die Krankenstation laufen, aber dafür nimmt sich kaum jemand die Zeit, wenn die Kinder gesund sind«, warnt Daniel Maya. Als Gesundheitskontrolleur ist er für eine Gemeinde am Malawisee zuständig. Die liegt zentraler als Sumbi, hat aber ihre ganz eigenen Probleme.
»Die Männer fahren mit ihren Söhnen schon früh zum Fischen aus, sodass wir nur die Mädchen und Frauen impfen können«, erklärt er. Fischer wie Sate Ndalazu verteidigen sich: »Die Fänge sind ohnehin so gering, wir haben keine Zeit, länger zu bleiben.« Was wird, wenn die Impfassistenten nicht mehr ins Dorf kommen, sondern die Fischerfamilien zu ihnen kommen sollen, weiß Maya nicht. Vom Sinn des Impfens ist er dennoch überzeugt, zumal eine hohe Impfquote auch Ungeimpfte schützt. 2010 sind bei einer Masernepidemie 249 Malawier gestorben. »Zuletzt hatten wir nur noch zwei Infektionen, den Impfungen sei Dank.« epd/nd
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