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Ein Sieg für mehr Anerkennung

Im EM-Viertelfinale gegen Spanien zeigen Österreichs Fußballerinnen, wie gut sie wirklich sind

Die exklusivsten Parkplätze vor dem Stadion König Willem II in Tilburg sind für Fahrräder reserviert - vier große Stellflächen, direkt vor dem Haupteingang. Erst daneben und dahinter dürfen die Autos der VIP-Gäste stehen. Wenn hier die Erstligafußballer von Willem II spielen, reicht der Platz kaum aus. Am Sonntagabend stand dort ein einziges Fahrrad: Ein Bild, das viel über diese Europameisterschaft und den Fußball der Frauen im Allgemeinen sagt.

Mit den Halbfinalspielen am Donnerstag geht die EM in die Vorschlussrunde. Eine Hoffnung von Michael van Praag ist schon früh im Turnierverlauf gestorben. »Spiele in vollen Stadien«, hatte sich der Präsident des niederländischen Fußballverbandes gewünscht. Die offiziellen Zahlen, nach denen zu den bislang 28 absolvierten Partien knapp 182 000 Zuschauer in die Stadien gekommen sein sollen, durchschnittlich also rund 6500, sind jedenfalls zu hoch angesetzt.

3500 Fans waren am Sonntagabend nach Tilburg zum Viertelfinale zwischen den Österreicherinnen und den Spanierinnen gekommen. Und wie das eine Fahrrad vor dem Stadion, verrieten auch die Nummernschilder der meisten Autos sowie Kleidung und Sprache der Menschen: Sie hatten eine weite Anreise. Der Fußball der Frauen löst eben noch keine übermäßige Leidenschaft aus. Die Fans fiebern meist nur mit ihrer Mannschaft. Während die EM-Spiele der Niederländerinnen allesamt ausverkauft waren, lassen sich bei anderen Partien nur sehr wenige Einheimische sehen - die meisten davon mit VIP- oder Sponsorenkarten.

Drei Viertel der Sitze des Tilburger Stadions waren leer geblieben. Dadurch mussten einige Ordner sehr viel Laufarbeit verrichten. Wo sonst Arme begeistert nach oben gerissen werden, um einen Ball zu fangen, verschwand das Spielgerät irgendwo zwischen verwaisten Stuhlreihen. Treppauf, treppab: Auf der Ballsuche irrten die Ordner auf den beiden komplett gesperrten Quertribünen immer wieder umher.

Bedeutungslos war auch eine im Fußball sonst durchaus entscheidende Wahl. Stéphanie Frappart bat nach 120 torlosen Minuten die beiden Spielführerinnen zu sich. Die Partie musste im Elfmeterschießen entschieden werden. Und die französische Schiedsrichterin musste nicht nur festlegen wer begann, sondern auch auf welches Tor geschossen wird. Es war egal: Weder hinter dem einen, noch dem anderen hätten Fans durch Pfiffe oder ähnliche lautstarke Beeinflussung für Verunsicherung sorgen können.

Die besseren Nerven hatten die Österreicherinnen. Sie gewannen das Duell vom Punkt mit 5:3. Nach dem Abpfiff war dann fast nur noch ein Wort zu hören: »Wahnsinn!« Noch nie zuvor hatten sich Fußballerinnen aus der Alpenrepublik für ein großes Turnier qualifizieren können. Nun stehen sie bei der Europameisterschaft im Halbfinale und treffen dort am Donnerstag in Breda auf Dänemark. »Ich hätte gern gegen meine Vereinskolleginnen gespielt«, sagte Sarah Puntigam: »Mir tut es schon ein wenig Leid, dass die Deutschen ausgeschieden sind.« Die 24-Jährige spielt beim SC Freiburg, der den größten Block im DFB-Team gestellt hatte. Weil aber die deutschen Fußballerinnen mit ihrer neuen Bundestrainerin Steffi Jones an ihren eigenen Ansprüchen gescheitert sind, kein einziges wirklich überzeugendes Spiel bei dieser EM gezeigt und ihr Viertelfinale gegen die Däninnen 1:2 verloren hatten, mussten sie am Montagmorgen abreisen.

Sarah Zadrazil war das egal. Sie kam gerade von der »Kabinenparty« und freute sich schon auf die »Busparty«. Dänemark sei ihr als Gegner auch lieber, weil sie wisse, wie stark die Deutschen sein können. Die 24-Jährige spielt bei Turbine Potsdam. Insgesamt sind 14 Fußballerinnen aus dem österreichischem EM-Team in Deutschland aktiv. Genau das ist für Puntigam auch eine Erklärung, warum die österreichische Auswahl immer besser wird: »Es hilft sehr, wenn man jede Woche gegen starke Gegner gefordert ist.« Das Niveau in der heimischen Liga ist nicht annähernd so gut. Und obwohl nur zehn Klubs antreten, ist das Leistungsgefälle immer noch sehr hoch.

»In Österreich gibt es gegenüber dem Frauenfußball immer noch Vorurteile«, erzählt Virginia Kirchberger. Auch sie kickt in der deutschen Bundesliga, beim MSV Duisburg. »Wir hätten mehr Anerkennung verdient.« Insofern spielt das ÖFB-Team in den Niederlanden auch für eine bessere Zukunft der Fußballerinnen. Gemessen an den Fernsehzuschauern haben sie mit ihrem überraschenden Erfolg bei dieser EM schon viel dafür getan. Im ORF hatten am Sonntagabend mehr als 1,2 Millionen Zuschauer eingeschaltet - ein Marktanteil von 44 Prozent. In einem Land mit nicht mal neun Millionen Einwohnern ist das beachtlich. Sehr viel mehr erreichen auch die männlichen Kollegen nicht. Und selbst die beliebten Skisportler kommen bei Großereignissen wie Weltmeisterschaften selten über 1,5 Millionen Zuschauer.

»Die Begeisterung in der Heimat bedeutet uns wirklich viel«, berichtet Sarah Zadrazil. Die Wahrnehmung der Spielerinnen zeichnet aber auch ein anderes Bild in den EM-Stadien. »Es ist schon verrückt, wie viele hierherkommen und uns unterstützen«, freut sich Zadrazil. Die österreichischen Fans waren am Sonntagabend klar in der Überzahl. Wenn man bedenkt, dass in der deutschen Bundesliga, die sich selbst immerhin als die stärkste der Welt bezeichnet, im Schnitt weniger als 1000 Zuschauer kommen, dann ist eine Kulisse mit 3500, wie am Sonntagabend in Tilburg, schon ein besonderes Erlebnis für die Fußballerinnen.

Während sich die österreichischen Fußballerinnen und ihre Fans auf weitere Tage in den Niederlanden freuen, mussten die favorisierten Spanierinnen die Heimreise antreten. Wenn man sie bei der EM hat spielen sehen, glaubt man kaum, dass auch dort noch viel Aufbauarbeit geleistet werden muss. Ihr ballsicheres und technisch feines Kurzpassspiel wirkte schon sehr ausgereift. Sie dominierten ihre Spiele und hatten stets auch viele Torabschlüsse, allein die Treffsicherheit fehlt ihnen noch.

Die Art und Weise ihres Auftretens steht für die hoffnungsvolle Entwicklung in Spanien. 2003 gab es gerade mal 10 000 lizenzierte Fußballerinnen, jetzt sind es schon mehr als 50 000. Die führenden Nationen haben zwar mindestens doppelt so viele. Aber die ersten Erfolge sind da. Vor zwei Jahren qualifizierte sich das Nationalteam erstmals für eine WM. Und: Mit dem FC Barcelona schaffte es in dieser Saison erstmals ein spanischer Klub ins Halbfinale der Champions League. Die Basis bildet eine immer besser werdende Liga. Ähnlich wie in England sind die Frauenteams der großen Männerklubs bestimmend: Der FC Barcelona, Atlético Madrid,der FC Valencia oder Athletic Bilbao können ihren Spielerinnen beste Bedingungen bieten. Auch Real Madrid hat jüngst eine Frauenabteilung gegründet.

Zuversicht und Hoffnung ließ sich Jorge Vilda trotz aller Enttäuschung über das Ausscheiden dann auch nicht nehmen. »Diese EM und vor allem unser Auftreten hat viele Menschen erreicht, das weiß ich«, sagte der spanische Trainer.

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