Schlussverkauf der EU-Behörden

Wegen des Brexits sucht die Europäische Bankenaufsicht einen neuen Standort

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.

Pünktlich um Mitternacht endete die Bewerbungsfrist für europäische Städte, um sich als Standort für die EU-Bankenaufsicht und die Europäische Arzneimittelbehörde zu bewerben. Wegen des Brexit von Großbritannien müssen die beiden Ämter in andere Mitgliedstaaten umziehen. Montag war der letzte Tag der Bewerbungsfrist.

Besonders heftig ist das Gerangel um die Bankenaufsicht. Zwar beschäftigt die EBA an ihrem bisherigen Sitz im ehemaligen Hafengebiet Londons kaum 200 Finanzexperten, Hausmeister und Sekretäre. Doch der Imagegewinn bei einem Zuschlag wäre enorm. Außerdem veranstalten EU-Behörden Jahr für Jahr zahlreiche Konferenzen mit Experten aus aller Welt - zur Freude der Hoteliers.

Frankfurt am Main hatte früh seinen Hut in den Ring geworfen. »Die Region liegt in der geografischen Mitte Europas und ist aufgrund der modernen Luftverkehrs-, Schienen- und Straßenwege der wichtigste Verkehrsknotenpunkt des Kontinents«, argumentiert das hessische Finanzministerium. Zudem hätten bereits die europäische Versicherungsaufsicht EIOPA sowie die Europäische Zentralbank (EZB) ihren Sitz am Main. Die EZB kontrolliert die rund 130 größten Banken in der Eurozone. Diese Konzentration »dürfte die Effizienz der Aufsicht erhöhen und auch in einem etwaigen Krisenfall die schnelle Handlungsfähigkeit erleichtern«, hofft die Landesregierung in Wiesbaden.

Doch der Schuss könnte nach hinten losgehen. Drei zentrale Finanzaufsichtsämter an einem einzigen Platz zu bündeln, erscheint manchem Beobachter als zu heikel. Unterstützung erhält Frankfurt jedoch aus Berlin. »Der Brexit bietet eine Chance, um den Standort Deutschland und insbesondere den Finanzstandort Rhein-Main zu stärken«, schreibt Wolfgang Schäubles Bundesfinanzministerium unverblümt in seinem Monatsbericht Juni.

Auch Luxemburg hat sich offiziell um den Sitz der bisher in London ansässigen Bankenaufsicht beworben. Das Großherzogtum habe dies der EU-Kommission in Brüssel schriftlich mitgeteilt, hieß es in einer Mitteilung von Finanzminister Pierre Gramegna. Luxemburg biete ein modernes Bürogebäude für die Bankenaufsicht in verkehrsgünstiger Lage im Zentrum der 27 Mitgliedstaaten an. Mietfrei! Außer Luxemburg und Frankfurt bewerben sich, wie am Dienstag bekannt wurde, auch Dublin, Brüssel und Paris, Wien, Prag und Warschau um die Bankenaufsicht.

Der Aderlass für den weltgrößten Finanzplatz könnte noch größer werden: Londons Banken droht der Verlust Zehntausender Arbeitsplätze. Die US-Beratungsfirma Oliver Wyman bezifferte die möglichen Jobverluste für Großbritannien in einer am Dienstag veröffentlichten Untersuchung auf bis zu 40 000.

Auf 10 000 davon hofft man am Main. Die Deutsche Bank hatte bereits Anfang Juli angekündigt, Hunderte Wertpapierhändler aus England abzuziehen und ihr Europageschäft in Frankfurt zu bündeln. Und der Bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU) warb kürzlich in London für den »Finanzplatz München« mit den weltweit agierenden Platzhirschen Allianz und Münchner Rückversicherung. Bayern will vor allem Versicherer anlocken.

Weniger Renommee, dafür aber mehr Jobs verspricht die Europäische Arzneimittelagentur mit 890 Beschäftigten. Die Agentur koordiniert die Überwachung aller Arzneimittel für Mensch und Tier durch die nationalen Behörden. Die Bundesregierung hat Bonn als Standort für die EMA nominiert. Für den Sitz der Behörde haben sich allerdings weitere 18 Städte beworben.

Das Auswahlverfahren für die beiden Aufsichtsbehörden erinnert an die Vergabe Olympischer Sommerspiele. Alle Angebote der Mitgliedstaaten werden laut einer Mitteilung der EU-Kommission zunächst »objektiv« auf der Grundlage der Kriterien geprüft, die von den Staats- und Regierungschefs im Juni gebilligt wurden. Die Kommission will ihre Bewertung dann Ende September veröffentlichen. Die Minister im Rat werden im November über den künftigen Sitz der beiden Agenturen entscheiden. Jedes Land kann nur eine der Behörden bekommen. Ende März 2019 sollen sie an dem neuen Standort ihre Arbeit aufnehmen.

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