Dieselskandal gefährdet A100-Bau
Umweltverband BUND will das Planfeststellungsverfahren wieder aufrollen lassen
»Ein Baustopp und der Rückbau des 16. Bauabschnitts der A100 zwischen Dreieck Neukölln und dem Treptower Park wäre die letzte Konsequenz«, sagt Karsten Sommer. Der Anwalt vertritt den Berliner Umweltverband BUND bei seinem Anliegen, das Planfeststellungsverfahren für den 16. Bauabschnitt des Autobahn-Stadtrings A100 wieder aufzurollen. Grund sind die im Rahmen des Dieselskandals deutscher Autohersteller revidierten Annahmen zu Schadstoffemissionen des Autoverkehrs. »In hoch belasteten Straßen wie der Treptower Elsenstraße sollen Betroffene durch die Autobahn künftig mit doppelt so viel Verkehr belastet werden«, erklärt Sommer. »Die Luftschadstoffgrenzwerte können deswegen nicht eingehalten werden«, ist sich der Anwalt sicher.
Hintergrund dieser Annahme sind die revidierten Berechnungsgrundlagen, die das Umweltbundesamt in einer aktualisierten Fassung des »Handbuchs für Emissionsfaktoren für Straßenverkehr« im Mai veröffentlicht hatte. Demnach sind die Stickstoffdioxidemissionen für moderne Euro-6-Autos fast doppelt so hoch als bisher angenommen. »Wenn wir also feststellen, dass alle Prognosen fehlgeschlagen sind, weil die Autoindustrie bescheißt, dann muss man ins Detail gehen«, sagt Sommer.
Bisher hatten sich Senat und Gerichte darauf verlassen, dass eine Anwendung der Maßnahmen im Luftreinhalteplan die NO2-Emissionen unter die gesetzlichen Grenzwerte drücken können. Dabei wurden die verschiedenen Euronormen verbindlicher Werte als Basis genommen. Euro-4-Diesel-Pkw stoßen allerdings im Durchschnitt 674 Milligramm NOx pro Kilometer aus - fast das Dreifache des Grenzwerts. Euro-5-Diesel sind mit 906 Milligramm pro Kilometer noch schmutziger, der Grenzwert liegt bei 180 Milligramm. Euro-6-Motoren stoßen mit 507 Milligramm mehr als das Sechsfache der verbindlichen Werte aus.
Wie eine aktuelle Auswertung des rbb ergibt, wurde an sechs Messstellen in der Hauptstadt im ersten Halbjahr 2017 der Stickstoffdioxid-Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft überschritten. Spitzenreiter waren die Karl-Marx- und Silbersteinstraße in Neukölln mit 50 Mikrogramm. An Mariendorfer Damm, Schildhornstraße, Hardenbergplatz und Frankfurter Allee gab es ebenfalls Überschreitungen. Vor allem auf die Atemwege wirken sich hohe NO2-Konzentrationen aus, auch Allergien können ausgelöst oder verschlimmert werden.
»Es geht letztendlich um das Leben der Menschen«, sagt Sommer. Deswegen zeigt er sich verwundert über die recht kaltschnäuzige Antwort der Verkehrsverwaltung auf den ersten Brief, den er im Auftrag des BUND verfasst hatte. Dort fordert er eine Wiederaufnahme des Verfahrens. Es sei »nicht substanziiert dargelegt, dass die angeblich erhöhten Werte aller Fahrzeuge im Gesamtergebnis zu einer nachteiligen Wirkung führen, die zwingend vermieden werden müssen«, heißt es nach Angaben Sommers im Antwortschreiben des Leiters der Abteilung für Planfeststellung. »Wahrscheinlich ist die Antwort nicht mit der Hausleitung abgestimmt«, vermutet der Anwalt. Er kann sich nicht vorstellen, dass diese Antwort der politischen Linie von Verkehrs- und Umweltsenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) entspricht. Doch »die Senatorin schweigt stille«, so die bisherige Erfahrung von Karsten Sommer.
Auch bestandskräftige Verwaltungsakte könnten widerrufen werden, um schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten, sagt der Anwalt. Durch die neuen Luftschadstoffberechnungen habe sich die Sachlage geändert. »Auch in Berlin muss der Schutz der Gesundheit der Menschen ein höheres Gewicht bekommen als das Interesse, mit dem Pkw möglichst schnell in die Stadt zu kommen«, fordert Sommer.
»Natürlich gäbe es auch noch andere Lösungen. Man könnte zum Beispiel eine Fahrspur weniger auf der Autobahn einrichten«, erklärt Martin Schlegel, Verkehrsexperte des BUND Berlin. »Oder das Bundesverkehrsministerium gibt seinen Widerstand gegen die blaue Plakette auf.« Damit könnten Fahrverbote für Autos mit schlechten Abgaswerten ausgeweitet werden. »Wenn es von der Verkehrsverwaltung keine Reaktion in unserem Sinne gibt, können wir nach Umweltrecht klagen«, sagt Sommer. Auf nd-Anfrage hat sich die Senatsverwaltung bis Redaktionsschluss dieser Seite nicht geäußert.
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