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Ministerpräsident Weil für vorgezogene Neuwahlen

Rot-Grün ohne Mehrheit nach Wechsel von Grünen-Politikerin zur CDU / Twesten begründet Entscheidung mit Nicht-Nominierung für die Landesliste

  • Lesedauer: 6 Min.

Update 16.40 Uhr: Trittin spricht von CDU-Stimmenkauf
Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin hat die niedersächsische Landtagsabgeordnete Elke Twesten scharf angegriffen und der CDU Stimmenkauf unterstellt. »Elke Twesten hat mit den Stimmen der Bürgerinnen und Bürger für die Grünen Schindluder getrieben«, sagte der niedersächsische Bundestagsabgeordnete und frühere Bundesminister am Freitag. Das sei »menschlich und politisch enttäuschend« und verfälsche den Wählerwillen. Die Union habe »mit dem Instrument des Stimmenkaufs dieses Verhalten gefördert, gestützt und begünstigt«, sagte Trittin, dessen Wahlkreis Göttingen im Südosten Niedersachsens liegt. »Das hat zwar bei der Union Niedersachsen traurige Tradition - erinnert aber eher an brasilianische Verhältnisse.« 1976 war der CDU-Politiker Ernst Albrecht als Oppositionskandidat überraschend zum Ministerpräsidenten gewählt worden, weil er auch Stimmen der SPD-FDP-Koalition bekommen hatte. Trittin sprach sich dafür aus, so schnell wie möglich neu zu Wählen, um Klarheit zu schaffen. »Wir Grünen werden in einem geschlossenen Wahlkampf klar machen, dass es gilt, grüne Erfolge vor einem schwarz-gelben Rollback zu verteidigen«, sagte er. Twesten hatte am Freitag angekündigt, die Grünen-Fraktion im Landtag zu verlassen und zur CDU zu wechseln - das kostet die rot-grüne Koalition ihre knappe Mehrheit.

Update 16.30 Uhr: Ministerpräsident Weil für vorgezogene Neuwahlen
Nach dem Verlust seiner rot-grünen Regierungsmehrheit hat sich Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) für vorgezogene Neuwahlen ausgesprochen. »Ich halte es für unabdingbar, dass der niedersächsische Landtag möglichst rasch seine Selbstauflösung beschließt und möglichst bald bei uns in Niedersachsen Neuwahlen stattfinden«, sagte Weil am Freitag in Hannover. Zuvor hatte die Abgeordnete Elke Twesten ihren Wechsel von der Grünen-Fraktion zur CDU bekanntgegeben und damit die rot-grüne Koalition zu Fall gebracht.

Einen Rücktritt schloss Weil aus. »Es kann keine andere Instanz als die Wähler geben, die über die Mehrheiten im Landtag entscheiden«, sagte er. »Ich stelle mich jederzeit sehr gerne dem Wählerwillen. Aber ich werde einer Intrige nicht weichen.« Er werde den Mitgliedern der SPD-Landtagsfraktion noch am Freitag empfehlen, einen Antrag auf Selbstauflösung des Parlaments einzubringen, sagte Weil. »Jetzt haben die Wählerinnen und Wähler das Wort. Das ist das Gebot der Stunde.«

Der Antrag könne in der nächsten Landtagssitzung am 16. August beraten werden, ergänzte der Ministerpräsident. Laut Verfassung habe das Parlament dann zwischen elf und 31 Tagen Zeit für eine Entscheidung, danach blieben zwei Monate Zeit für eine Neuwahl. Ursprünglich sollte in Niedersachsen im Januar gewählt werden.

Rufe nach raschen Neuwahlen in Niedersachsen

Berlin. Nach dem Verlust der Ein-Stimmen-Mehrheit der rot-grünen Koalition durch den Wechsel einer grünen Abgeordneten zur CDU hat sich die Vorsitzende der SPD-Fraktion, Johanne Modder, für eine rasche Neuwahl des Landtags in Niedersachsen ausgesprochen. »Wenn die Mehrheit wechselt, weil eine Abgeordnete aus persönlicher Enttäuschung die Seite wechselt, dann soll möglichst rasch der Wähler entscheiden«, sagte Modder am Freitag der »Hannoverschen Allgemeinen Zeitung«.

Hintergrund ist der Verlust der Ein-Stimmen-Mehrheit der rot-grünen Koalition, weil die Grünen-Abgeordnete Elke Twesten zur CDU wechseln will. Damit gäbe es im Landtag eine Ein-Stimmen-Mehrheit für CDU und FDP. Sie kämen zusammen auf 69 der 137 Sitze, SPD und Grüne verfügen nach dem Wechsel nur noch über 68 Sitze. »Ich sehe meine politische Zukunft in der CDU«, erklärte Twesten am Freitag in Hannover.

Twesten: Habe eine »bürgerliche Grundstruktur«

Ihre Entscheidung sei das Ergebnis eines »längeren Entfremdungsprozesses«, so Twesten. Konkreter Auslöser für ihre Entscheidung zum Parteiwechsel sei ihre Nicht-Nominierung für die Landesliste ihrer Partei für die bevorstehende Wahl in ihrem Wahlkreis Rotenburg (Wümme), sagte Twesten. Sie habe sich allerdings schon länger mit dem Gedanken eines Wechsels getragen. Sie sei Anhängerin einer schwarz-grünen Regierungskoalition und habe eine »bürgerliche Grundstruktur«.

CDU-Fraktionschef Björn Thümler rief die Landesregierung am Freitag dazu auf, angesichts der aktuellen Entwicklung »so schnell als möglich den Weg für eine Neuzusammensetzung« des Parlaments frei zu machen. Er werde seiner Fraktion zudem empfehlen, Twesten aufzunehmen. Der neue Landtag wird regulär eigentlich erst am 14. Januar kommenden Jahres gewählt. Thümler sagte, die rot-grüne Landesregierung müsse jetzt entscheiden, ob sie in dieser Situation ohne Mehrheit weiter regieren könne. Die CDU-Fraktion werde voraussichtlich am Dienstag über ihr weiteres Vorgehen entscheiden. »Unsere Verfassung bietet mehrere Optionen. Diese Möglichkeiten müssen rechtlich sauber geprüft werden«, sagte Thümler. »Man wird in Ruhe alle Fragen erörtern, wenn sie rechtlich vernünftig geprüft sind.«

SPD »sehr enttäuscht« und sprachlos

Die Landesverfassung sieht die Möglichkeit vor, dass der Landtag dem Ministerpräsidenten das Vertrauen entzieht und einen Nachfolger wählt. Ministerpräsident Stephan Weil von der SPD äußerte sich zunächst nicht zu den Schwierigkeiten, in die seine Regierung geraten ist.

Sie sei »sehr enttäuscht« und sprachlos, dass Elke Twesten einfach die Seite wechsele, sagte derweil die Sozialdemorkatin Modder. »Wir haben viereinhalb Jahre mit den Grünen sehr vertrauensvoll zusammengearbeitet. Es ist bitter, dass die Koalition jetzt so endet, und entspricht auch nicht dem Wählerwillen.« Die Nachricht über ihren Wechsel, sei in die SPD-Fraktion »wie eine Bombe eingeschlagen«.

Die Grünen forderten die abtrünnige Abgeordnete zur Rückgabe ihres Landtagsmandats auf. »Wir gehen selbstverständlich davon aus, dass sie ihr Landtagsmandat, das sie über die grüne Landesliste erhalten hat, mit sofortiger Wirkung zurückgibt«, teilten die Landesvorsitzenden Meta Janssen-Kucz und Stefan Körner mit. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen Anja Piel sagte: »Wir bedauern die Entscheidung von Elke Twesten außerordentlich.« Sie habe sich bewusst entschieden, keine Aussprache in der Fraktion zu führen. »Auch vor dem Hintergrund, dass es keine inhaltlichen Differenzen gab, können wir diesen Schritt nicht nachvollziehen.«

Linkspartei stünde für »echten Politikwechsel« zur Verfügung

Der Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, hat Twesten derweil aufgefordert, ihr Mandat niederzulegen. »Sie sollte ihr Mandat zurückgeben«, sagte Kellner der »Berliner Zeitung«. »Was sie tut, ist eine Verfälschung des Wählerwillens und ein Verrat am rot-grünen Wahlsieg.« Bei der Bundespartei der Grünen in Berlin hieß es, man sei »überrascht« von der Entscheidung Twestens.

Die niedersächsische Linkspartei teilte mit, sie stehe »in einem künftigen Parlament nur unter der Bedingung eines echten Politikwechsels hin zu einer sozialeren Politik in Niedersachsen für eine Regierungsbeteiligung zur Verfügung«. Rot-Grün habe »bei der letzten Wahl nur knapp und durch Glück bei den Ausgleichsmandaten eine Mehrheit errungen. Rot-grüne Mehrheiten gibt es im Land nicht«, sagte Anja Stoeck, die Spitzenkandidatin zur Landtagswahl.

Der frühere Fraktionschef im Landtag, Hans-Henning Adler, forderte ebenfalls rasche Neuwahlen. »Eine beleidigte Abgeordnete die nicht wieder aufgestellt wird, ist keine hinreichende Legitimation für eine neue Regierung«, so Adler. Daher müsse nun dem Souverän das Wort erteilt werden »und die für Januar angesetzte Landtagswahl auf den frühestmöglichen Zeitpunkt« vorgezogen werden.

CDU-Generalsekretär Peter Tauber bewertete den Verlust der knappen Regierungsmehrheit von SPD und Grünen in Niedersachsen dagegen als Beweis einer grundsätzlichen Regierungsunfähigkeit von Rot-Grün. »Das zeigt einmal mehr: Rot-Grün kann einfach nicht verlässlich regieren«, sagte Tauber den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland. Agenturen/nd

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