Rechts glotzt TV
Das Fernsehen und die AfD - Szenen einer neurotischen Beziehung
Es ist Sommerloch in Deutschland - vorerst zumindest, denn bald droht ja die »heiße Phase« des Wahlkampfs zum Bundestag. Dann stehen wieder Sprechblasengewitter in Serie nebst allerlei Sondersendungen und TV-Duellen an. Derzeit aber hören die Bürger, solange sie nicht zufällig Augenzeugen der einen oder anderen »Sommertour« werden, recht wenig von der Politik.
Viele mögen das angenehm finden - nicht so Frauke Petry von der AfD: Erst am Donnerstag lief sie zu einer vernichtenden Kritik des medialen Sommerlochs auf: »Wer derzeit durch die Programme der öffentlich-rechtlichen Sender der Republik zappt, gewinnt einen Eindruck davon, wie sich ein Segler auf windstillem Gewässer fühlen muss - gefangen von der totalen Flaute«, so die Rechtspolitikerin. Und weiter dichtet sie: »Im Unterschied zum Segler aber, der bewegungslos auf den nächsten frischen Windstoß wartet, bewegt sich derweil in den Taschen der Bürger sehr wohl etwas, nämlich der monatliche Rundfunkbeitrag in Richtung ›Beitragsservice‹, besser bekannt oder berühmt-berüchtigt als ›GEZ‹.« Petrys Erklärung beklagt sich über Wiederholungen alter Tatort-Folgen »am laufenden Band« und fordert eine »Sommerpause« für die Beitragszahler angesichts des »Pausierens« politischer Formate: Zugleich übt sie die gewohnt polemische Kritik an der politischen Berichterstattung: »Schlechtleistung muss spürbare Folgen haben!«
Nun ist das Lästern über »die Medien« und speziell den öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Lande so sehr Folklore wie das Schimpfen auf das Wetter oder die Deutsche Bahn. Und auch politisierende Kritik am Meinungskorridor von ARD, ZDF und ihren Unterkanälen ist beileibe kein Exklusivmerkmal der AfD. Doch so weit wie die Rechtspartei, die laut Petrys Co-Sprecher Jörg Meuthen derzeit erwägt, »ob wir uns in die Talkshows einklagen«, ist etwa die Linkspartei nie gegangen - wenngleich auch in deren Führung in jüngeren Jahren immer wieder nachgerechnet wurde, wer wie viel Sendezeit und Talkminuten abbekommt.
Dass aber etwa eine Spitzenfunktionärin wie Beatrix von Storch im vergangenen Jahr eine Rundfunkbeitrag-Kontopfändung als PR-Aktion zelebrierte, zeigt das besonders neurotische Verhältnis der AfD zu den TV-Medien: Einerseits können deren Vertreter den Namen der Sendeanstalten ohne Gesten des demonstrativen Ekels schier nicht in den Mund nehmen und will die Partei die öffentlich-rechtlichen Medien weitgehend wegreformieren. Doch andererseits giert offenbar kaum jemand so sehr nach dessen Kameras wie eben diese.
Diese kochende Hassliebe der rechtspopulistischen Partei zum Fernsehmedium - Sozialpsychologen sprechen von einem »Double Bind« - ist zumindest auf den ersten Blick erstaunlich. Lässt sich doch, wie es jüngst in einer von dem Journalistikprofessor Bernd Gäbler für die Otto-Brenner-Stiftung der IG Metall verfassten Expertise heißt, mit Fug und Recht behaupten, dass die AfD - und nicht etwa die verblichenen Piraten - die »erste Internetpartei« der bundesdeutschen Demokratiegeschichte ist. Die Piraten versuchten, das Netz durch den Einsatz von komplexer Diskussionssoftware als tatsächlich partizipatives Medium zu nutzen.
Die AfD hingegen verdankt ihren Aufstieg in erheblichem Maße den sogenannten sozialen Medien und deren Ausstoß von Gerüchten und Halbwahrheiten. Sie ist nicht zuletzt eine Schnittmenge aus verschiedenen »Filterblasen«, die sich einerseits im Gebrauch solcher Medien und Suchmaschinen ergeben und die andererseits durch Medienangebote entstehen, die in unterschiedlichem Maße als AfD-kompatibel bezeichnet werden können. Davon sind etliche neuere Gründungen. Das Spektrum reicht vom Jürgen-Elsässer-Magazin »Compact« bis hin zu »Tichys Einblick«, jenem rechtsdrehenden Onlineangebot des hochdekorierten Journalisten Roland Tichy.
Warum ist die Rechtspartei dann so sehr auf das im Vergleich dazu so traditionelle Fernsehen fixiert? Eine Erklärung bietet etwa die Politik- und Medienwissenschaftlerin Paula Diehl an, die derzeit als Gastprofessorin in Paris lehrt. Schon vor dem Aufstieg der AfD verwies sie darauf, dass systematische Übereinstimmungen bestehen zwischen dem »populistischen« Politikstil und Massenmedien wie dem Fernsehen mit seinen inhärenten Selektionsverfahren und Erzählweisen: Das Prinzip der »Personalisierung« von Inhalten, das ganz besonders für audiovisuelle Massenmedien fast unverzichtbar ist, korrespondiert mit der populistischen Institution charismatischer Führung.
Die Erzählweisen der »Komplexitätsreduktion« und Dramatisierung, die besonders im Fernsehen aus einer Nachricht erst eine »Story« machen, findet sich in den simplifizierten und nicht selten ins Verschwörerische neigenden manichäischen Gegenüberstellungen von »Volk« versus »Elite« oder »Wir« gegen »Fremde«.
Wo im Fernsehen ein Imperativ der Außergewöhnlichkeit regiert, der »kleine« Geschichten als »groß« und relevant erzählen lässt, folgt die populistische Ansprache dem - im Fall der AfD ja offen zur Strategie erklärten - Modus des »Tabubruchs«. Und wie die Massenmedien, zumal das Fernsehen, ihrem Publikum eine Anmutung der Unmittelbarkeit, des Live-Dabei-Seins vermitteln, geriert sich auch der Populismus als »ungefilterte«, als »authentische« Volksmeinung und lehnt zumindest rhetorisch jede Mediation ab.
Mit Blick auf die widersprüchliche TV-Affinität der AfD lässt sich diese Argumentation wie folgt zusammenfassen: Aus Sicht ihrer Führung könnte es durchaus naheliegen, der Kommunikationsstruktur des Internets bei allem Erfolg in diesem Medium zu misstrauen. Dass dort im Grunde jeder als Autor auftreten kann, macht Onlinekommunikation auch schwer zu steuern, die Pluralität der »Quellen« widerspricht dem monolithischen und hierarchischen Gestus populistischer Politik - auch wenn, wie die Geschichte des NS-Regimes zeigt, charismatische Herrschaft nie gänzlich als Einbahnstraße von oben nach unten zu verstehen ist.
Wenn aber »das Medium« laut Diehl - und nach dem Bonmot von Marshall McLuhan - in der Tendenz per se »die Message« ist, wenn also die etwa dem Fernsehen innewohnenden Erzählstrategien schon aus sich selbst zum charismatischen Populismus neigen, wieso kommen solche Kräfte dann erst jetzt in Größenordnungen auf und nicht zu Zeiten, in denen das Fernsehen als Leitmedium unangefochten war?
Diesem Einwand lässt sich entgegenhalten, dass der Aufschwung des Populismus anderswo schon viel früher einsetzte als in Deutschland. Zweitens lassen sich auch in den herkömmlichen Parteien seit geraumer Zeit durchaus ähnliche Tendenzen der Personalisierung, Dramatisierung und Komplexitätsreduktion beobachten, wenn sich auch die Etablierten mit einer Polarisierung von »Volk« und »Elite« natürlich schwertun. Jüngst greift denn auch die Transformation von traditionellen Parteien in charismatisch geführte Wahlvereine drastisch um sich, was etwa die Umbildung der ÖVP in die »Liste Sebastian Kurz« oder die Gründung von »La République en Marche« in Frankreich illustriert. Demokratiepolitisch heißt das, dass die populistische Geste nicht etwa im totalen Gegensatz zu den »Altparteien« steht, sondern deren nach und nach verschobene Funktionsweisen nur radikalisiert.
Für den Aufstieg der AfD aber war neben solchen längerfristigen Entwicklungen eine ereignishafte, unvorhersehbare Konstellation entscheidend: Die sogenannte Flüchtlingskrise traf eine konservative Regierung. Hätte 2015 eine Mitte-Links-Koalition die Grenzen geöffnet, müsste man heute kaum über die AfD debattieren.
Dass die AfD nicht nur eine Internetpartei, sondern im Sinn von Paula Diehl durchaus auch ein Kind des Zeitalters von Fernsehen und Massenmedien ist, zeigt sich nicht zuletzt in ihrer Zusammensetzung. Während sie sich in der Rolle eines »Opfers« der Medien gefällt, versammeln sich in der und um die Partei Medienprofis in einer erheblichen Dichte: Die AfD ist auch eine Journalistenpartei.
Eine unvollständige Liste umfasst den Bundestags-Listenführer Alexander Gauland, der unter anderem für den »Tagesspiegel« und die »Märkische Allgemeine« arbeitete, das Vorstandsmitglied Armin-Paul Hampel (RTL, ARD), Nicolaus Fest (Ex-Leitungsmitglied der »Bild am Sonntag«, Konrad Adam (Ex-Chefkorrespondent der »Welt«) und den Nordost-Spitzenmann Leif-Erik Holm, der in Mecklenburg-Vorpommern als Moderator eines populären privaten Radiosenders bekannt wurde. Hans-Hermann Gockel, einst Nachrichtensprecher bei Sat.1, zeigt schon länger AfD-Affinitäten, ebenso Ex-ZDF-Mann Giselher Suhr. Leute wie Günther Lachmann von der »Welt« oder der einstige Meinungschef des »Focus«, Michael Klonovsky, arbeiten inzwischen als Spindoktoren für die Landtagsfraktionen in Erfurt und Stuttgart.
All diese Leute wissen sicherlich um die Potenziale des Internets. Sie wissen aber auch, dass man bei aller Mediendigitalisierung bestimmte, etwa ältere Schichten nach wie vor am besten über die altbekannten Massenmedien und das Fernsehen erreicht. »Zum Regieren brauche ich BILD, BamS und Glotze«, sagte dereinst der wohl auf lange Zeit letzte sozialdemokratische Bundeskanzler, dessen Herrschaft in der Partei durchaus schon in Richtung von Sebastian Kurz und Emmanuel Macron wies. Gerhard Schröders berühmt-berüchtigter Satz gilt noch immer. Nicht zuletzt auch für die AfD.
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