Warnung vorm Trojanischen Pferd
Thüringen: Gerstungen kämpft seit Jahren ums Trinkwasser - bietet K+S nun eine Lösung an?
Durch den Wartburgkreis in Thüringen geht seit Langem schon ein imaginärer Riss. Im Süden des Landkreises stehen viele Menschen seit Jahren an der Seite des Düngemittelkonzern K+S - weil tausende Menschen in der Region direkt oder indirekt davon leben, dass das Unternehmen im Werra-Revier Salze abbaut. Entweder sind viele dieser Menschen direkt bei K+S beschäftigt. Oder sie haben Angehörige, die dort arbeiten. Oder ihre eigenen Jobs hängen indirekt an dem Bergbauunternehmen.
In Norden des Landkreises dagegen gibt es seit Jahren viele K+S-Kritiker - und davon, relativ betrachtet, wahrscheinlich nirgends so viele wie in der 6000-Einwohner-Gemeinde Gerstungen. Weil die Kali-Lauge, die weiter südlich in die Werra gekippt wird, irgendwann im Norden ankommt oder direkt im Boden versenkt wird. Und dadurch, so sagen es jedenfalls die Menschen in Gerstungen, das Trinkwasser gefährdet. Jahrelang haben die Gemeinde und der Konzern sich deshalb gestritten. Auch juristisch, scheinbar unversöhnlich.
Umso überraschender kam deshalb vor wenigen Tagen die Meldung, dass Gerstungen und K+S sich in »vielversprechenden Vergleichsgesprächen« befänden. Beide Seiten wollten ihren Streit beenden, hieß es in einer gemeinsamen Mitteilung der Kommune und des Konzerns, was schon der Form nach äußerst ungewöhnlich war. Bis Herbst sollten die Gespräche - nach all den Jahren Streit - abgeschlossen sein.
Noch ungewöhnlicher an dieser Mitteilung waren die positiven Sätze der Bürgermeisterin von Gerstungen, Sylvia Hartung, die dort über K+S wiedergegeben wurden. »Es ist richtig, jetzt gemeinsam mit K+S über Lösungen für unsere Trinkwasserversorgung zu sprechen«, wurde die Politikerin dort zitiert. »Die ersten Treffen fanden in konstruktiver Atmosphäre statt, so dass alle Beteiligten die Hoffnung haben, gemeinsam gut tragbare Lösungen zu erarbeiten und im Endergebnis alle strittigen Umweltthemen beizulegen.« Der Vorstandsvorsitzende von K+S, Burkhard Lohr, wurde in der Mitteilung mit den Worten zitiert: »Ich bin davon überzeugt, dass die heimische Kaliproduktion und Fragen des Umweltschutzes miteinander vereinbar sind. Das lässt sich allerdings nicht in langen Schriftsätzen vor Gericht klären.« Man suche daher »den vertrauensvollen Dialog«, um mit Gerstungen »einvernehmliche Lösungen« zu erzielen.
So viele freundliche Worte über den jeweils anderen hat es in den komplizierten Beziehungen zwischen Gerstungen und K+S in der jüngeren Vergangenheit nie gegeben. Was manche misstrauisch macht.
Bislang ist zwar noch ziemlich unklar, wie die genannte »einvernehmliche Lösung« aussehen könnte. Doch mache Akteure in der Region können die Annäherung zwischen dem Konzern und der Kommune nicht recht verstehen. Jedenfalls nicht anhand der bisher öffentlich vorgetragenen Argumente.
Von der Bürgerinitiative »Für ein lebenswertes Werratal« etwa heißt es, Gerstungen sei gut beraten, sich bei diesen Gesprächen mit dem Konzern kein »Trojanisches Pferd« in die Stadt zu holen. Die Gespräche hätten immerhin einen »Stallgeruch«, schreiben Vertreter der Bürgerinitiative in einer Mitteilung, in der sie viele Fragen stellen - Fragen, die eher rhetorisch sind, jedoch verdeutlichen, dass es nach Ansicht der Bürgerinitiative dem Konzern K+S um mehr geht als um eine umweltverträgliche Lösung im Sinne der Menschen in Gerstungen. Vielmehr, so mutmaßt sie, gehe es dem Konzern wohl darum, den Widerstand in Gerstungen zu spalten, um ihn zu schwächen. Und darum, in diesen Monaten bloß keine weiteren Negativschlagzeilen zu produzieren, da der Aktienkurs von K+S ziemlich niedrig und ein Konzernumbau geplant sei. »Vielleicht auch deshalb Verhandlungen?«, heißt es in der Mitteilung.
Tatsächlich ist der Wert der K+S-Aktie seit etwa 2008 im langfristigen Trend - einige zwischenzeitliche Ausschläge nach oben ausgeblendet - stets gefallen. Das wiederum ist für die Menschen im Süden des Wartburgkreises beunruhigender als für die Menschen im Norden.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.