Dieselskandal: Unrecht lohnt sich für die Autoindustrie
Gerrit Cegielka fordert die Einführung von Musterklagen, damit Fahrzeughalter Rechtssicherheit bekommen
Spätestens nach dem Spitzentreffen zwischen Autoindustrie und Bundesregierung in der vergangenen Woche in Berlin ist nicht mehr zu bestreiten, dass über Jahre hinweg mangelhafte Dieselfahrzeuge verkauft wurden. Die Automobilindustrie selbst beziffert die Zahl betroffener Dieselfahrzeuge mit über fünf Millionen allein in Deutschland. Ohne Frage sind die Verkäufer dieser mangelhaften Dieselkraftfahrzeuge gesetzlich zur Gewährleistung verpflichtet. Das Gesetz räumt den Verkäufern jedoch das Recht ein, die festgestellten Mängel zu beseitigen, eine Nachbesserung vorzunehmen.
Offen bleibt aber die Frage, wie eine ordnungsgemäße Nachbesserung auszusehen hat. Reicht das von der Autoindustrie angebotene Software-Update aus, um eine vertragsgemäße, nachhaltige Mängelbeseitigung zu gewährleisten? Oder ist eine technische Nachrüstung, das viel besprochene Hardware-Update erforderlich? Die Autoindustrie geht davon aus, dass mit dem Software-Update alle Probleme gelöst sind - ohne jedoch Zusagen zu machen oder die vertraglich versprochenen Abgaswerte zu garantieren. Die Politik schweigt dazu. Eine rechtsverbindliche Klärung der technischen Sachverhalte und der Rechtsfolgen für den einzelnen Autokäufer sind nicht einmal im Ansatz erkennbar. Den betroffenen Verbrauchern bleibt die Entscheidung, entweder den Software-Updates zu vertrauen oder aber den Rechtsweg zu beschreiten.
Diesen zeit- und kostenintensiven Rechtsweg sind in der Vergangenheit schon viele Verbraucher gegangen. Rechtssicherheit gibt es aber immer noch nicht. So hat unlängst das Oberlandesgericht München in einem Beschluss vom 20. Juni (8 U 1710/17) zwar durchblicken lassen, dass es Software-Updates zur Mängelbeseitigung für nicht ausreichend erachtet. Das Gericht hat aber - zur Klärung dieser Frage - mangels eigener Sachkunde die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeregt. Selbst wenn das Gericht hier eine rechtskräftige Entscheidung getroffen hätte, würde es sich um eine Einzelfallentscheidung handeln. Und eine solche wäre für andere Gerichte nicht bindend.
Das deutsche Zivilprozessrecht sieht Sammelklagen nach US-amerikanischem Vorbild nicht vor. Jeder betroffene Verbraucher muss selbst klagen, wenn er seine Rechte auf Nachbesserung nicht etwa durch Auslaufen von Gewährungsleistungs- bzw. Verjährungsfristen verlieren will. Dann muss aber zunächst einmal die Hürde der Prozesskosten genommen werden. Wer das Kostenrisiko nicht über eine Rechtsschutzversicherung begrenzen kann, erreicht bei derart offenen Rechtsfragen schnell seine finanziellen Grenzen. Das Prozess(kosten)risiko der Verbraucher wissen Händler und Hersteller selbstverständlich zu nutzen. Prozesse werden ohne Grund in die nächsten Instanzen getrieben und wenn verbraucherfreundliche Urteile mit Feststellungen zu Lasten der Händler bzw. Hersteller drohen, werden diese Urteile durch Abfindungsvergleiche verhindert. So entsteht keine höchstrichterliche Rechtsprechung (durch den Bundesgerichtshof), die alle Gerichte in Deutschland binden würde.
Wenn Unrecht sich aber nicht lohnen soll, ist effektiver Rechtsschutz erforderlich. Und zwar gleichermaßen für alle betroffenen Verbraucher, ob vermögend, ob rechtsschutzversichert oder nicht. Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz, derzeit geleitet von SPD-Politiker Heiko Maas, hatte hierzu bereits im Dezember vergangenen Jahres die »Musterfeststellungsklage« zur Diskussion gestellt.
Eine solch verjährungsunterbrechende Musterklage könnte von einer Verbraucherschutzorganisation, wie den Verbraucherzentralen, geführt werden und wäre mit einem Klageregister verbunden, in dem sich alle betroffenen Verbraucher mit ihren Ansprüchen eintragen lassen können. Schöner Nebeneffekt einer solchen Musterfeststellungsklage: Der schon jetzt stark in Anspruch genommenen deutschen Zivilgerichtsbarkeit blieben zigtausende Klagen getäuschter Autokäufer erspart und mit nur einem einzigen Gerichtsverfahren ließe sich Rechtssicherheit für alle betroffenen Verbraucher gleichermaßen herstellen.
Es bleibt daher zu hoffen, dass die - vor dem Dieselgipfel - allseits formulierte Zustimmung zur Einführung einer Musterfeststellungsklage nun möglichst rasch in ein reales Gesetzgebungsverfahren mündet.
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