Mit Polittalk auf hoher See

Die umweltschädliche Kreuzfahrtindustrie boomt auch wegen Terrorismus und Kriegen

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.

Kurz vor der Bundestagswahl Ende September erwartet die Gäste des Kreuzfahrtschiffes »MS Europa 2« ein politischer Leckerbissen: Die bekannte TV-Moderatorin Sabine Christiansen spricht mit Spitzenpolitikern über die bevorstehenden Wahlen. An Bord sind Ralf Stegner, stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD, der FDP-Vorsitzende Christian Lindner sowie der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Michael Fuchs. Das Luxusschiff fährt währenddessen unter maltesischer Billigflagge quer durch die Ostsee nach Schottland.

Die Reise dürfte ausgebucht sein. Dabei belasten Terrorismus, Kriege und Wirtschaftskrisen auch die Tourismusindustrie. Viele Bundesbürger urlauben lieber im Schwarzwald oder an der Ostseeküste, und auch ausländische Reisende zieht es verstärkt in vermeintlich sichere Urlaubsländer wie Deutschland.

Im ersten Halbjahr gab es in den Beherbergungsbetrieben über 200 Millionen Übernachtungen in- und ausländischer Gäste - ein Plus von drei Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum, wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag mitteilte. Der Trend zum Heimaturlaub lässt sich auch in anderen EU-Staaten beobachten. Scheinbar unberührt vom Megatrend bleibt allein eine Tourismusbranche, die Kreuzfahrtindustrie.

Abzuperlen scheint auch die Kritik der Umweltverbände an den Schadstoffemissionen. Die glänzenden Traumschiffe sind wie schwimmende Kleinstädte und verbrauchen entsprechend viel Energie. Auf hoher See fahren sie gar mit hochgiftigem Schweröl. Der Naturschutzbund NABU rechnet vor, dass bei einer Kreuzfahrt so viele Schadstoffe ausgestoßen werden wie von fünf Millionen Pkw auf gleicher Strecke.

Das gefährdet sogar die Passagiere. Verdeckte Abgasmessungen von ARD und ZDF ergaben eine hohe Konzentration ultrafeiner Partikel an Deck. In den Häfen tragen die rund um die Uhr laufenden Dieselmotoren erheblich zur Luftverschmutzung in Hamburg, Southampton oder Venedig bei. Besonders betroffen ist Italien mit über zwei Millionen Passagieren, die dort pro Jahr in ein Kreuzfahrtschiff ein- oder aussteigen. Gefolgt von Spanien und Großbritannien mit je einer Million, wie die europäische Statistikbehörde mitteilte.

Trotz schlechter Presse scheint die Branche ihren Horizont aber noch lange nicht überschritten zu haben. Seit Jahren wächst die Zahl der Gäste auch in Deutschland rasant an. Dazu trägt sicher das subjektive Sicherheitsgefühl an Bord bei. Zudem sind Seereisen bequem und gelten als »ereignisstark«: Man muss nicht mühsam zu den schönsten Plätzen reisen, sondern diese kommen quasi zu einem.

Doch vor allem wird das Angebot der Veranstalter immer raffinierter: Im Massentourismus mit bis zu 5000 Reisenden an Bord locken virtuelle Balkone in den Innenkabinen, turmhohe Aussichtsgondeln oder Autoscooter wie auf der amerikanischen »Ovation of the Seas«. In der Mittelklasse von TUI ist am Abend Udo Lindenberg live zu hören. In der Luxusklasse werden »Expeditionen« (Hapag-Lloyd) in die Arktis geboten oder Polittalk für »maximal« 500 Gäste auf der »MS Europa 2«.

Die Branche, allen voran AIDA in Rostock, hat durchaus erkannt, dass die Schadstoffemissionen ihr »grünes« Image aus den Hochglanzbroschüren gefährden. Schiffe werden mit Filtern und Katalysatoren nachgerüstet und die Umweltstandards bei Neubauten - sie entstehen fast alle auf vier europäischen Werften - sind anspruchsvoll.

Längst zeichnet sich eine immer schärfere Regulierung durch die Internationale Schifffahrtsorganisation (IMO) und die EU ab. Doch Schiffe haben eine Lebenserwartung von zwei bis drei Jahrzehnten. Die Mühlen der Veränderung mahlen daher in der Kreuzfahrtbranche besonders langsam.

Zugleich werden die mühsam errungenen Fortschritte in der Gesamtumweltbilanz wieder aufgefressen vom »Rebound-Effekt« - von immer mehr Schiffen. Laut dem Cruise-Verband CLIA in Washington befahren derzeit 265 Traumschiffe die Weltmeere - in den nächsten Jahren werden 80 hinzukommen. Und der Traumschiffboom hat gerade erst den chinesischen Mittelstand erreicht.

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