Bundesamt will Steuerprivileg für Diesel abschaffen
Umweltbehörde: Subventionierung kostet 7,8 Milliarden pro Jahr / Linkspartei fordert Recht auf Sammelklagen von Verbrauchern in Abgasskandal
Berlin. Das Umweltbundesamt (UBA) hat in der Debatte um die Zukunft des Diesels erneut die Abschaffung des Dieselprivilegs bei der Mineralölsteuer ins Gespräch gebracht. Dieses »muss auf den Prüfstand«, sagte UBA-Präsidentin Maria Krautzberger der »Rheinischen Post«. »Dieselfahrer zahlen pro Liter Kraftstoff 18,4 Cent weniger als bei Benzin - den Staat kostet diese Subventionierung mittlerweile 7,8 Milliarden Euro pro Jahr, gut dreieinhalb Milliarden davon für die Pkw-Nutzung«, sagte Krautzberger.
Selbst bei Abzug der höheren Kfz-Steuern für Diesel-Autos seien das rund eineinhalb Milliarden Euro vom Staat für die Selbstzünder pro Jahr. »Zum Vergleich: Die Förderung für Elektromobilität beträgt knapp eine Milliarde - aber bis 2020«, sagte Krautzberger der Zeitung.
Das Umweltbundesamt hatte wiederholt einen Abbau aller »umweltschädlichen Subventionen« gefordert, darunter die niedrigere Diesel-Besteuerung. Eine der Folgen der Subventionen sei die Luftverschmutzung durch Dieselfahrzeuge in den Innenstädte, hieß es.
Erst am Freitag hatte Krautzberger die von den Autobauern eingeführten Prämien für den Kauf neuer Diesel kritisiert. »Begriffe wie Umweltprämie oder Umweltbonus, wie sie derzeit von den Autoherstellern verwendet werden, sind irreführend«, sagte die Behördenchefin der Deutschen Presse-Agentur. Umweltprämien müssten sich an Kriterien wie geringem Schadstoffausstoß, niedrigem Verbrauch und zukunftsweisendem Antrieb orientieren.
Recht auf Sammelklagen von Verbrauchern gefordert
Unterdessen hat Brandenburgs Verbraucherschutzminister Stefan Ludwig von der Linkspartei wegen des Diesel-Skandals ein Recht auf Sammelklagen von Verbrauchern gefordert. Dafür müsse Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) endlich seine Blockadehaltung gegenüber dem Gesetzentwurf von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) aufgeben, sagte Ludwig. »Ich fordere, dass der entsprechende Gesetzentwurf schnellstens in das Gesetzgebungsverfahren gegeben wird.«
Maas will Verbrauchern mit der Möglichkeit von Massenklagen ein Instrument in die Hand geben, mit dem sie sich gemeinsam gegen große Konzerne zur Wehr setzen können. Denn Massenklagen würden das Kostenrisiko der Kläger für den Fall, dass sie die Prozesse verlieren, im Vergleich zu Einzelverfahren erheblich verringern. Die Verbraucher erwarteten, dass ihnen ernsthaft geholfen werde, betonte Ludwig. Die bestehenden Möglichkeiten kollektiver Rechtsdurchsetzung reichten bei weitem nicht aus.
Angebotene Umstiegsprämien für viele unerschwinglich
Verbraucher, die das Thema berühre, seien gar nicht gehört worden, kritisierte Ludwig. »Bundesverkehrsminister Dobrindt und die betroffenen Autohersteller verkaufen die Verbraucher für dumm«, sagte er. »Meines Erachtens sollen jetzt die Betrogenen die Zeche zahlen.« Gipfel der Heuchelei seien die angebotenen »Abwrackprämien«. Sie gaukelten eine faire Lösung vor, dabei solle nur zum Autokauf animiert werden. Unterm Strich gebe es nur einen Gewinner: die Autoindustrie.
Durch Manipulationen hatten Autohersteller Abgaswerte von Dieselfahrzeugen lange Jahre geschönt. Beim Dieselgipfel zu Monatsanfang mit Bund und Ländern hatten deutsche Autobauer nun zugesagt, Umtauschprämien für Besitzer alter Diesel zu finanzieren. Sie bieten Autobesitzern Geld, die sich von ihren alten Dieselfahrzeugen der Abgasnormen Euro 1 bis 4 trennen und sich dafür einen Euro 6-Neuwagen anschaffen. Teilweise werden bis zu 10.000 Euro geboten.
Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) hält die angebotenen Umweltprämien der Autohersteller für alte Diesel noch nicht für ausreichend. Für Menschen mit geringem Einkommen müsse der Umstieg zu leisten sein, sagte Dreyer der »Rhein-Zeitung«. »Dies ist mit den jetzigen Prämien nicht erfüllt.« Ihr Ziel sei, Fahrverbote in Städten zu verhindern. Sie räumte ein, die Abgaswerte ihres Dienstwagens - ein Audi A8 3.0 TDI quattro - seien nicht perfekt, obwohl es der neueste Diesel sei. »Wir hoffen, dass 2018 noch sauberere Fahrzeuge dieses Typs herauskommen.« Sie nutze unter anderem aus Sicherheitsgründen kein Hybridfahrzeug.
Kretschmann kritisiert Gipfel-Kritiker
Der niedersächsische Umweltminister Stefan Wenzel (Grüne) sieht derweil im Diesel-Skandal ein »Kontrollversagen des Staates«. Die Aufsicht habe versagt, sagte Wenzel am Rande eines Landesparteitags in Göttingen. Der Politiker sagte außerdem, der Diesel-Gipfel Anfang August sei ein erster Schritt gewesen, habe aber keine Lösung der Probleme gebracht. »Ohne blaue Plakette und Hardware-Nachrüstung werden die Städte nicht in der Lage sein, die Grenzwerte einzuhalten.«
Wenzel sagte mit Blick auf den von VW ausgelösten Diesel-Abgasskandal: »Wir haben ein ganz klar kriminelles Verhalten auf der einen Seite, wir haben ein bewusstes Ausnutzen von Grauzonen, und wir haben ein Kontrollversagen des Staates. Jedes dieser drei Probleme muss angegangen werden.« Verantwortung trage auch das Kraftfahrtbundesamt. Dieses habe trotz verschiedener Indizien nie ernsthaft kontrolliert, welche CO2-Emissionen und Stickoxide im realem Fahrbetrieb ausgestoßen wurden.
Wenzel reagierte auf Äußerungen seines Parteifreundes, Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Kretschmann hatte der »Süddeutschen Zeitung« gesagt, die schlechten Luftwerte in den Städten seien nicht allein der Autoindustrie anzulasten. Die EU habe unter Mitwirkung der Bundesregierung Abgasgesetze gemacht, bei denen Ausnahmen die Regel geworden seien. »Das ist schwerstes Politikversagen«, sagte Kretschmann.
Der Diesel-Gipfel Anfang August sei seiner Meinung nach ein wichtiger erster Schritt zu besserer Luft in den Städten gewesen, sagte Kretschmann der Zeitung weiter. Das Treffen werde von Kritikern zu Unrecht kleingeredet. »Ich rate dringend, ein bisschen von der Zinne runter zu kommen, sonst verharken wir uns zu sehr in der Vergangenheit«. Davon würde die Konkurrenz der deutschen Autoindustrie profitieren.
Kretschmann äußerte zudem Kritik an seiner eigenen Partei: »Eigentlich kämpfen wir Grünen doch gegen den Klimawandel, jetzt sind die Schadstoffe das große Thema«, sagte der Grünen-Politiker der »Süddeutschen Zeitung«. Diesel werde als Übergangstechnologie weiterhin gebraucht. Die Politik müsse verschiedene Ziele abwägen, auch die Industrie dürfe man dabei nicht aus den Augen verlieren. Die Grünen fordern in ihrem Wahlprogramm, dass ab 2030 nur noch abgasfreie Autos in Deutschland neu zugelassen werden sollen.
In Baden-Württemberg sind die Autokonzerne Daimler und Porsche beheimatet und zudem große Zulieferer wie Bosch oder ZF. Vor der Leistung der Ingenieure, die dort arbeiteten, habe er einen »Heidenrespekt«, sagte Kretschmann. Agenturen/nd
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