Die Uhr tickt für die Frankfurter »Au«

Die Bankenstadt galt einst als Hausbesetzer-Hochburg - nun könnte es für letzten verbliebenen Projekte eng werden

  • Timo Reuter, Frankfurt am Main
  • Lesedauer: 4 Min.

Die alte Villa ist etwas besonderes. Bereits am großen Metalltor wird das sichtbar, dort prangt das schwarze Logo, das an eine Mischung aus dem Anarcho-A und dem Symbol der Hausbesetzer erinnert. Darüber steht die Zahl »34« - so viele Jahre ist das städtische Grundstück samt darauf stehendem Gebäude im Westen Frankfurts schon besetzt. Damit gilt die »Au« als das am längsten besetzte Haus Deutschlands - und ist nicht nur in Hessens größter Stadt eine Rarität.

Die alte Villa, wo etwa 30 Menschen wohnen und regelmäßig Punk-Konzerte und Diskussionsabende stattfinden, erinnert an eine Zeit, in der Frankfurt am Main nicht nur als Bankenstadt und Wirtschaftsstandort galt, sondern auch als Zentrum der (west-)deutschen Linken. Die Frankfurter Schule, aber auch die Entstehung der RAF, der Häuserkampf der »Putztruppe« um Joschka Fischer und die damit verbundenen Hausbesetzungen wirkten weit über die Stadtgrenzen hinaus. In der gesamten Republik fanden sie Nachahmer.

Doch davon ist heute in ganz Deutschland nicht mehr viel übrig. Und auch in Frankfurt am Main sind fast alle der früher besetzten Gebäude geräumt, wenn es nicht zu Mietverträgen gekommen ist. Die Nachfolger Joschka Fischers haben wie die Erben Adornos ihren Frieden mit dem System geschlossen. Und wo 1970 das erste Haus der Bundesrepublik besetzt wurde - die Eppsteiner Straße 47 im schon damals schicken Frankfurter Westend -, da schießen heute nicht nur Banken- und Bürohochhäuser, sondern vor allem Luxuswohntürme aus dem Boden, auch zum Leid der Mittelschicht. Für Neumieter gilt Frankfurt mit einem Quadratmeterpreis von durchschnittlich über zwölf Euro nach München als zweitteuerste deutsche Stadt. Für linke Freiräume oder gar besetzte Häuser ist die Lage seit Langem schwierig geworden. 2013 wurde nach fast zehn Jahren ein von linken Studierenden besetztes Uni-Gebäude, das »Institut für vergleichende Irrelevanz«, geräumt. Neue Besetzungen überdauerten in den letzten Jahren meist keine 24 Stunden, bis sie von der Polizei aufgelöst wurden. Und so ist die »Au« in Frankfurt-Rödelheim das letzte besetzte Haus Frankfurts. Zudem zählt man am Main mit etwas Wohlwollen noch rund zehn autonome Cafés, linke Kulturzentren, alternative Bauwagenplätze oder Wohnprojekte des Mietshäusersyndikats.

Doch bald könnten es noch weniger sein. Denn auf Betreiben der Konservativen will die Stadtregierung aus CDU, SPD und Grünen nach ihrer Sommerpause am 15. August grundsätzlich über die Existenz selbstverwalteter, linker Zentren in der Mainmetropole sprechen. Derzeit wird ein entsprechender CDU-Antrag koalitionsintern abgestimmt - Ausgang offen. Konkret geht es dabei bisher nur um die »Au«, aber auch die wichtigen linken Kulturzentren »Exzess« sowie das ehemalige Polizeigefängnis »Klapperfeld« - dort wird in wechselnden Ausstellungen dessen Vergangenheit unter anderen unter der Gestapo thematisiert - sind inzwischen in den Fokus geraten. Ihren Anfang nahm die Debatte vor gut zwei Monaten, als der sicherheitspolitische Sprecher der Frankfurter CDU, Christoph Schmitt, einen FAZ-Artikel über die »Au« zum Anlass nahm, das Projekt infrage zu stellen. Er forderte, den »rechtlosen Zustand nicht länger zu dulden«.

Nach den Ausschreitungen beim G20-Gipfel Anfang Juli wurden auch das »Exzess« und das »Klapperfeld« zum Thema. Nachdem Bundesinnenminister Thomas de Maizière gefordert hatte, es dürfe in deutschen Städten »keine tolerierten Rückzugsräume für Gewalttäter geben«, begannen in Berlin, Hamburg, Leipzig und eben auch in Frankfurt am Main Debatten um die linken Projekte. An einem Auswertungstreffen zu den Hamburger Protesten im »Exzess« nahm auch ein Journalist der Lokalzeitung »Frankfurter Neue Presse« teil - und berichtete über gewaltverherrlichende Äußerungen. Das sorgte zusätzlich für Ärger. Rechtspopulisten, aber auch die FDP, beantragten im Stadtparlament die umgehende Räumung der linken Projekte. Der CDU-Politiker Christoph Schmitt fordert: »Die Stadt muss sich genau anschauen, welche Gruppen sie durch Zuschüsse fördert und ob sich diese auf dem Boden des Grundgesetzes bewegen.« Das »Exzess« zahlt eine relativ günstige Miete für ihre städtische Immobilie, die Besetzer der »Au« zahlen bloß die Nebenkosten, das »Klapperfeld« erhält von der Stadt Zuschüsse. Schmitt weiß: Ohne diese Gelder stünden die Projekte womöglich vor dem Aus.

Obwohl der CDU-Mann die 34-jährige Besetzung der »Au« für einen »Skandal« hält, will er lieber nicht von einer Räumung sprechen - wohl auch, weil die Grünen als Koalitionspartner bereits auf die Bremse treten. Deren Fraktionschef Manuel Stock sagt zum »nd«: »Aus unserer Sicht muss sich an der Situation in der ›Au‹ nichts ändern.« Schließlich seien »selbstverwaltete Zentren Teil einer pluralistischen Stadtgesellschaft«. Der Grünen-Politiker weiß: »Im Frankfurter Westend wären ohne die Hausbesetzungen noch mehr Gründerzeithäuser zur Profitmaximierung zerstört worden. Und vieles wäre nicht initiiert worden, was heute als Allgemeingut einer lebendigen Großstadt gilt.«

Ob man das in Zukunft auch über die letzten linken Projekte Frankfurts sagen wird? Die SPD-Stadträtin Sylvia Weber, in deren Zuständigkeit die Förderung des »Klapperfelds« fällt, sagte am Wochenende zum »nd« immerhin: »Das ›Klapperfeld‹ hat sich zu einem öffentlichen Kulturzentrum und Gedenkort entwickelt. Nach Gesprächen mit den Sicherheitsbehörden sieht der Magistrat derzeit keinen Grund, an der Nutzungsüberlassung etwas zu ändern.«

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