Unterlegenheit wird nicht mehr akzeptiert
Speerwerfer Johannes Vetter wird Weltmeister, dabei wird das Titelsammeln immer komplizierter
Am Schlusstag fiel er doch noch, der erste Weltrekord der Leichtathletik-Weltmeisterschaften von London. Die portugiesische Geherin Inês Henriques unterbot ihre eigene Bestmarke über 50 Kilometer um 2:30 Minuten und lag hernach weinend in den Armen ihres Trainers. Die Strecke war recht kurzfristig ins Programm genommen worden, um Geschlechtergerechtigkeit herzustellen. Der lange Kanten war bei großen Titelkämpfen bisher nur von Männern gegangen worden. Nun also auch von Frauen, selbst wenn nur sieben an den Start gingen. Lediglich vier kamen im Zeitlimit ins Ziel, Medaillen zu erringen ist in dieser Disziplin also noch relativ einfach, wenn man es als einfach bezeichnen will, 50 Kilometer weit zu gehen.
Ansonsten bewiesen diese Weltmeisterschaften mal wieder einen Trend, der seit Jahren anhält. Die Spitze wird immer breiter, und für Gold, Silber und Bronze kommen längst nicht mehr nur Russen, US-Amerikaner und Deutsche infrage. Über 200 Meter siegt kein Jamaikaner, sondern ein aserbaidschanischer Türke, Gold in der Sprintstaffel holen nicht die Amis, sondern die Briten, im Dreisprung gewinnt eine Venezolanerin das erste Gold überhaupt für ihr Land. Kein Wunder also, dass deutsche Athleten nicht mehr an ihre besten Zeiten aus den 80er und 90er Jahren anknüpfen.
Das Mitte vergangener Woche noch befürchtete Debakel konnten sie dank eines überaus erfolgreichen Samstagabends aber noch vermeiden. Allen voran bewies der deutsche Rekordhalter Johannes Vetter, dass er dem für ihn sicher neuen Favoritendruck standhalten konnte. 89,89 Meter reichten zum Weltmeistertitel. Es war die bis dahin fünfte Medaille für den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV), und die vierte am Samstag. Kurz zuvor hatten zunächst Pamela Dutkiewicz Bronze über 100 Meter Hürden sowie die Zehnkämpfer Rico Freimuth und Kai Kazmirek Silber und Bronze errungen.
«Ich habe mich in den vergangenen Jahren immer weiter entwickelt. Dass ich jetzt Weltmeister bin, ist einfach geil», sagte Vetter dem ZDF danach. Dabei vergaß er nicht, auch Olympiasieger Thomas Röhler zu würdigen. Er wirft hier 88 Meter und wird damit nur Vierter. Irgendwie abartig, aber es ist eben nicht nur das deutsche Niveau gestiegen. Weltweit haben so viele Speerwerfer heute so viel drauf, dass ich nur umso glücklicher bin, dass es für mich gereicht hat. Röhler zeigte sich zwar enttäuscht, haderte aber nicht groß mit seinem Schicksal. Dabei hatte er die Medaille um lediglich sechs Zentimeter verpasst. «Wenn es so eng ist, gehört am Ende auch etwas Glück dazu. Letztes Jahr war ich der Glückliche», erinnerte der Mann aus Jena an seinen Triumph von Rio, bei dem Vetter seinerseits Vierter geworden war.
Diesen Rang belegten am späten Abend auch die deutschen Sprinterinnen in der Staffel über 4 x 100 Meter. Ein verpatzter Wechsel von Startläuferin Tatjana Pinto zu Lisa Mayer verbaute den Weg zur leise erhofften Medaille, aber nicht den zur Freude über die eigene Leistung. Vielmehr freuten sie sich diebisch darüber, die Stabübergabe genau auf dem letzten Millimeter noch regelkonform hinbekommen zu haben. «Ich hätte dann die Jamaikanerin gerne noch überholt. Aber es gab heute eben Schnellere, und das ist dann eben so im Sport. Platz vier in der Welt ist auch nicht das Schlechteste», sagte Schlussläuferin Rebekka Haase.
Überhaupt zeigten sich auch die hier und da unglücklich unterlegenen Deutschen in der Niederlage recht sympathisch. «Die mit Medaillenambitionen angereiste Gesa Felicitas Krause war über eine direkt vor ihr stürzende Kenianerin gestolpert, danach von einer anderen Kontrahentin am Kopf getroffen und auf den Knöchel getreten worden. Der Traum war dahin. »Das ist natürlich extrem enttäuschend, aber so ist eben der Hindernislauf. Da passiert so etwas.« Am Ende siegten überraschend zwei US-Amerikanerinnen vor der versammelten Elite aus Afrika. Selbst auf den Mittel- und Langstrecken ist Bewegung in die Felder gekommen.
Auch der deutsche Verband, der vor wenigen Jahren noch als reiner Werfer- und Stoßerbund verspottet wurde, akzeptiert die Vormachtstellung anderer auf der Tartanbahn nicht mehr. Hürden- und Flachsprinter, Mittelstreckler und junge Geher gewinnen wieder Anschluss an die Weltelite, auch wenn es für Medaillen oft nicht reicht. Verbandspräsident Clemens Prokop betonte das im Vergleich zu Olympia 2016 immerhin schon verbesserte Abschneiden: »Wir haben uns wieder nach oben gearbeitet und sind für die Zukunft gut gerüstet.«
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