Der Sommer des Wolfes
Wohl alle Bundesländer müssen sich inzwischen auf den Zuzug des Raubtieres einstellen
Aufgebissen, ausgeweidet liegt der junge Ochse auf seiner Weide im Kreis Ludwigslust. Das zu Lebzeiten rund 500 Kilogramm schwere Tier ist in einer Augustnacht zur Hälfte aufgefressen worden. Von Wölfen, so vermutet es ein Gutachter des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Solchen Attacken müsse vorgebeugt werden, forderte der Bauernverband, und zwar auch durch »wirksame Instrumente der Regulierung«. Das klingt nicht so scharf wie Abschuss.
Schon am Tag nach dem Ochsenfund sorgte erneut ein Wolf für Schlagzeilen. Diesmal war aber der graue Räuber das Opfer. Ein Unbekannter, so die jetzt vorliegende Diagnose, hatte das Tier im Schwarzwald erschossen. Entdeckt worden war es dort im Schluchsee, Feuerwehrleute bargen den Vierbeiner. Er war gut 600 Kilometer nach Baden-Württemberg gewandert, wie Untersuchungen ergaben: Der Wolf kam aus Niedersachsen, aus Schneverdingen im Heidekreis. Schon Ende Juni war in Baden-Württemberg bei Überlingen ein Wolf auf einem Feldweg an einer Obstplantage gesichtet worden.
Das weit gereiste Tier aus Niedersachsen ist seit dem Jahr 2000 schon der 24. Wolf, der in Deutschland rechtswidrig getötet wurde, bedauert der Naturschutzbund Deutschland (NABU).
Nachrichten wie die vom Ochsen und vom erschossenen Wolf befeuern immer wieder die oft emotional geprägten Diskussionen zwischen denen, die sich über die Rückkehr des vor 150 Jahren in Deutschland ausgerotteten Graurocks freuen und jenen, die ihn als Bedrohung heimischer Nutztiere sehen. Schon jetzt gebe es zu viele Wölfe, wird nach jedem Wolfsriss geschimpft. Forderungen nach Obergrenzen werden lauter, im Klartext: nach dem Gewehr.
Exakte Zahlen, wie viele Wölfe derzeit in der Bundesrepublik leben, gibt es nicht; geschätzt dürften es um die 400 sein. Erfasst worden sind jedoch insgesamt 70 Rudel und Paare. An dieser Zahl sind laut Liste des NABU das Land Brandenburg mit 24 und Sachsen mit 18 solcher Wolfsfamilien beteiligt.
In Niedersachsen tummeln sich elf Rudel oder Paare, ebenso viele in Sachsen-Anhalt. Dort breiten sich die Tiere schneller aus als erwartet, weiß der Naturschutzbund. Er appelliert deshalb an das Land, es möge das Wolfs-Monitoring professionell weiterführen und finanziell unterstützen. Zudem solle ein Notfallplan erstellt werden, der aufzeigt, wie bei Wolfsunfällen und Wolfsrissen gehandelt werden muss.
Ob Risse an Schafen, Rindern und anderen Tieren wirklich einem Wolf zuzuschreiben sind, beweisen oder widerlegen zumeist nur genetische Untersuchungen. So wie sie zurzeit in Mecklenburg-Vorpommern an Schafen von der Ostsee-Halbinsel Darß laufen. Die Tiere waren Anfang August nah der Ortschaft Prerow gefunden worden, zwei tot, zwei verletzt - Verdacht auf Wolfsriss. Der Darß zählte bislang nicht zu den bekannten Wolfsterritorien im Nordosten, wo andernorts insgesamt vier Rudel registriert sind.
Doch Mitte Juli ist auf dem Darß ein Wolf heimisch geworden, heißt es aus dem Umweltministerium. Ob er oder ein Artgenosse für die vier toten Schafe verantwortlich ist, steht noch nicht fest. Eine Antwort auf diese Frage ist in etwa zwei Wochen zu erwarten; dann liegen die Ergebnisse zu Genproben vor, die den Schafen entnommen worden sind.
Inzwischen hat auch Bayern sein erstes Wolfsrudel. Wie unlängst vermeldet wurde, hat ein dort hausendes Paar drei Welpen bekommen. Naturschützer reagierten erfreut, Landwirte eher grimmig, und Landesagrarminister Helmut Brunner (CSU) forderte gar »wolfsfreie Zonen«. Die aber, so gab ihm Bayerns Umweltministerium zu bedenken, seien rechtlich gar nicht möglich, sind die Tiere doch europaweit streng geschützt. Nur in sehr seltenen Ausnahmefällen erteilen die Behörden eine Abschussgenehmigung.
Wohl alle Bundesländer, auch derzeit noch wolfsfreie, müssen sich auf Isegrims Zuzug einstellen. Denn Wölfe sind Langstreckenläufer und können, so informiert der NABU, mit wenigen Tagesmärsche jede Region Deutschlands erreichen. Wie der vierbeinige Niedersachse, der im Schwarzwald dieser Tage ein trauriges Ende fand.
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