G20: Ermittlungen wegen Reizgas-Beschuss

Entgegen der Vorgabe der Einsatzleitung verschoss Polizei 67 mal Tränengas / In acht Fällen wird gegen Beamte ermittelt

  • Elsa Koester
  • Lesedauer: 4 Min.

In Hamburg wurde massiv Tränengas gegen G20-Demonstranten eingesetzt – das haben nicht nur Protestierende erfahren, sondern auch Journalisten und nicht zuletzt die Polizisten selbst, die sich deshalb verletzt meldeten. Was nun jedoch ans Licht kam: Dieser Einsatz war nicht von der Einsatzleitung gedeckt. Dies fand die innenpolitische Sprecherin der Hamburger Linksfraktion, Christiane Schneider, mittels einer Kleinen Anfrage an den Senat heraus. Demnach habe Hartmut Dudde die Polizeieinheiten aus den verschiedenen Bundesländern die Vorgabe gemacht, auf den Einsatz von Reizgas zu verzichten – mehrere Hundertschaften hätten sich daran jedoch nicht gehalten.

Die Polizei Hamburg hat es sich zur Vorgabe gemacht, kein Tränengas, sondern ausschließlich Pfefferspray in »Reizstoffsprühgeräten« einzusetzen. Dies erklärte der Senat bereits im Februar 2017 auf eine Anfrage von Christiane Schneider. Während der G20-Proteste wurden in Hamburg jedoch in 67 Fällen Reizstoffe mittels einer sogenannten »Mehrzweckpistole« auf die Demonstranten verschossen, wie der Senat jetzt in seiner Antwort angibt: Mit 22 Einsätzen am häufigsten von der Hundertschaft Sachsen, es folgen Thüringen, Bayern und, mit vier und zwei Einsätzen, Rheinland-Pfalz und Hessen.

War der Einsatz rechtmäßig?

»Der Einsatz von Reizstoffen mittels Abschussvorrichtungen – sogenannte Mehrzweckpistolen (MZP) – ist grundsätzlich nach den Vorschriften der Zwangsanwendung auch in Hamburg zulässig«, stellt der Hamburger Senat fest. Die Polizei Hamburg bekräftigte am Donnerstag diese Auslegung: Die auswärtigen Einsatzkräfte hätten am 7. Juli im Schanzenviertel keinesfalls eine Anordnung des Polizeiführers umgangen, der Einsatz sei rechtlich gedeckt.

Polizeiführer Dudde hatte die Einsatzführer auswärtiger Kräfte lediglich dazu angehalten, in Hamburg kein Tränengas einzusetzen. »Aufgrund des Einsatzverlaufs«, heißt es weiter in dem Schreiben des Senats, »entschieden sich auswärtige Kräfte jedoch in einigen Situationen mit massivem Störkontakt zum Einsatz der MZP, weil sie dies in Abwägung der Weisung des Polizeiführers und der eingetretenen Gefahrenlage für geboten sagen.« Aus der Antwort geht auch hervor, dass sie Dudde vor dem Einsatz nicht in Kenntnis setzten oder um Erlaubnis baten.

Ob der Einsatz von Reizgas bei G20 rechtmäßig war, wird derzeit in acht Fällen beim Dezernat Interne Ermittlungen der Innenbehörde ermittelt. Es werde geprüft, ob es sich hierbei nicht vielmehr um eine Straftat handelte, gibt der Senat an. Insgesamt wird in 60 Fällen wegen Körperverletzung gegen Polizeibeamte ermittelt.

Der Protestforscher Simon Teune weist jedoch darauf hin, dass der Umgang mit Tränengas keineswegs skandalöser ist als der mit dem in allen Bundesämtern genutzten Pfefferspray. »Wenn der illegale Einsatz von Reizgas zum Aufreger wird, sollte man von dem unverhältnismäßigen Einsatz von Pfefferspray nicht schweigen«, so Teune. Das Pfeffer wurde als Verteidigungsmittel angeschafft, mittlerweile sei die Schwelle, dies zu nutzen, »rapide gesunken«: »Es gibt viel zu viele Beispiele für einen Einsatz, wo andere Mittel angemessen wären.«

Tränengas kann lebensgefährlich sein

Mit Mehrzweckpistolen werden nicht einzelne Menschen mit Reizgas beschossen, sondern die Waffen dienen dem flächendeckenden Einsatz. In Deutschland wird hierfür meist CS-Gas eingesetzt (2-Chlorbenzylidenmalonsäuredinitril). Die Chemikalie greift die Schleimhäute an, reizt insbesondere die Nerven der Hornhaut im Auge und löst Tränen, Husten und Würgereiz aus. Es gilt deshalb als gefährlich, weil Menschen mit Atemwegserkrankungen oder Allergien so stark auf das Gas reagieren können, dass eine lebensgefährliche Situation eintritt.

Welche Reizstoffe in Hamburg konkret eingesetzt wurden, gab der Senat jedoch nicht an – mit der Begründung, dass hierfür »Abfragen sämtlicher eingesetzter Polizeieinheiten der Länder und des Bundes« notwendig wären und dies zu viel Zeit in Anspruch nähme. Auch die Frage, durch welche unterschiedlichen Waffen das Gas eingesetzt wurde, bleibt unbeantwortet. »nd«-Reporter*innen vor Ort berichten jedoch, dass dem von Wasserwerfern versprühten Flüssigkeit Reizgas beigemischt wurde, die Augen, Atemwege und die Haut stark reizten und Würgereflexe auslösten.

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