Wie ein gealterter Boxer

Garri Kasparows Comeback zum Turnierschach zeigt, dass zwölf Jahre Pause wohl doch zu lang waren

  • Dagobert Kohlmeyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Der König des Denksports ist zurück! Mehr als ein Dutzend Jahre nach seinem Abschied vom Schachspiel setzt Garri Kasparow in einem offiziellen Turnier wieder die Figuren. Gespannt schaut die Schachwelt in diesen Tagen nach St. Louis, wo er mit neun Supergroßmeistern beim Schnell- und Blitzschach seine Kräfte misst. Verlernt hat er nicht viel, aber es fehlen der alte Biss und die Genauigkeit.

Bei dem im Rahmen der Grand Chess Tour in Schnell- und Blitzschachpartien geteiltes Turnier fehlt nur Weltmeister Magnus Carlsen. Den freien Startplatz erhielt Kasparow, die Szene war begeistert. Nach drei Remis am ersten Schnellschachtag, verlor der Russe jedoch in den Runden 5, 7 und 9, was bei ihm in der Häufung früher so gut wie nie vorkam. Mit Indiens Ex-Weltmeister Anand teilte er sich den vorletzten Platz. Sieger in dieser Disziplin wurde der in Berlin lebende Armenier Levon Aronjan.

Fans hatten gehofft, den Star in alter Frische zu erleben, doch der wiegelte schon vorher ab: »Ich möchte vor zu großen Erwartungen warnen. Es ist ein Nervenkitzel, klar. Doch meine Spielpause hat zu lange dauert.« Er sollte recht behalten. Mehrmals konnte Kasparow in St. Louis gute Stellungen nicht verwerten. »Unglaublich« kommentierte sein Schüler Carlsen einen solchen Moment, und der 54-Jährige kam auf Grund fehlender Praxis mit der knappen Bedenkzeit nicht so klar wie die jungen Spieler.

Nach seiner großen Karriere hatte sich Kasparow als Oppositionspolitiker in Russland versucht und wollte zudem Präsident des Weltschachbundes FIDE werden, beides eher erfolglos. »Richtig weg war er nie, gejuckt hat es ihn immer. Unter Pseudonym hielt er sich beim Internetschach fit«, wissen seine Vertrauten. Doch der erneute Kampf am analogen Brett bedeutete für den Schachkönig nun eine ganz andere Herausforderung.

Natürlich hat Kasparow, der den Sport zwischen 1985 und 2005 dominierte, sein Handwerk nicht gänzlich verlernt. Aber zwölf Jahre sind eine lange Zeit, in der sich Schach und seine besten Spieler weiterentwickelt haben. Neue Eröffnungsvarianten wurden gefunden, Schach ist unter dem Einfluss der Computer konkreter geworden - und seit Magnus Carlsen auch sportlicher, weil Stellungen auch dann ausgespielt werden, wenn sie objektiv zum Remis führen müssten. Das verlängert die Spielzeiten, und das wiederum geht an die Substanz.

Kasparows Aura allerdings bleibt einmalig. Typen seines Schlages wie früher auch der US-Amerikaner Bobby Fischer sind die wahren Protagonisten des Denksports. Sie ziehen Sponsoren an und das Interesse der Medien auf sich. Der Norweger Carlsen versucht dies auch zu erreichen, hat aber noch nicht das Charisma seines früheren Mentors Kasparow.

Das in Baku geborene Schachgenie ist ein Machtmensch. Vaterlos aufgewachsen, bestand Kasparows Mission ab dem neunten Lebensjahr darin, mit Erwachsenen am Brett zu kämpfen. Und zu Sowjetzeiten auch mit der Bürokratie. Nachdem er WM-Herausforderer Anatoli Karpows geworden war, sagte ein hoher Schachfunktionär zu ihm: »Wir haben schon einen Weltmeister, einen zweiten brauchen wir nicht!« Eine Kampfansage und Herausforderung, der sich Kasparow in fünf epischen Matches gegen Karpow mit Erfolg stellte.

Doch im März 2005 war plötzlich Schluss mit der Karriere. Der wohl beste Spieler aller Zeiten wurde Oppositionspolitiker. Das Ränkespiel gegen Putin aber beherrscht er nicht halb so gut wie Schach. Seit Jahren lebt Kasparow daher im New Yorker Exil und reist mit kroatischem Pass.

Bei seinem Abstecher ins Turniergeschehen blitzte die alte Magie des Champions bislang nur zwei Mal auf. Am Mittwoch bezwang er im Schnellschach Le Quang Liem aus Vietnam - der einzige Erfolg in dieser Disziplin. Einen Tag später siegte Kasparow im Blitz gegen den Kubaner Leinier Dominguez. belegte bei Halbzeit aber auch hier nur den sechsten Platz des im Falle eines Gleichstands an der Spitze bis Sonnabend andauernden Turniers. So ereilt ihn offenbar das Schicksal vieler gealterter Profiboxer, von denen es heißt: They never come back! Kasparow nimmt’s gelassen: »Am Sonntag setze ich meinen Schachruhestand fort.«

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